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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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enthält.
    Das Henry Ford Museum daneben ist erst recht ein Puppenhaus voller historischer Preziosen. Dort hängt ein Exemplar der Unabhängigkeitserklärung im Original. Man kann den Theaterstuhl bewundern, in dem Abraham Lincoln am 14. April 1865 – fünf Tage nach der Kapitulation des Südens – in einer Loge des Ford’s Theater niedergeschossen wurde. Man kommt an George Washingtons Feldbett vorbei, an einer Trinkwasserfontäne mit der Aufschrift » whites only « und an dem glänzenden Lincoln Continental, in dem John F. Kennedy an jenem fatalen 22. November 1963 durch Dallas fuhr. Man darf sogar in den GM-Bus mit dem Kennzeichen »Alabama 2609« steigen, den Linienbus, in dem die schwarze Sekretärin Rosa Parks saß, als sie sich am 1. Dezember 1955 weigerte, der Aufforderung des Busfahrers, ihren Platz für einen weißen Passagier frei zu machen, Folge zu leisten. Sie wurde daraufhin festgenommen, was wiederum der Auslöser für den Montgomery Bus Boycott war, der ersten großen Aktion der Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King.
    Aber hier sind nicht nur historische Überbleibsel versammelt. Der Rest des Komplexes steht voller Maschinen, Hunderte von Maschinen jeder Art und jeder Größe, eine riesige Sammlung von Autos, Traktoren, Pumpen und Dreschmaschinen. Dabei müssen vor allem auch die Züge erwähnt werden; nicht nur Personenzüge, sondern auch Güterzüge, Kühlwagen, Sattelwagen, bis hin zu einem meterhohen Schneepflug der Canadian Pacific. Welch eine Energie, welch eine Macht steht hier, im Kampf gegen die Elemente.
    Das ist die Welt, in der Henry Ford, das Mechanikgenie, zu einer der größten amerikanischen Ikonen wurde. Ich könnte endlos bei der Allegheny-Dampflokomotive aus dem Jahr 1941 verweilen, dem eisernen Monster der Chesapeake und Ohio Railway, das bis in die sechziger Jahre meilenlange Kohlenzüge durch die Berge zog, zischend und pfeifend, mit manchmal mehr als hundertsechzig Waggons hinter sich, so groß und gewaltig, dass man allein im Kessel zwei normale Dampflokomotiven unterbringen könnte.
    Ja, auch das ist Amerika. Und Ford war mit seinem »maschinellen Denken« ein typischer Amerikaner. Es war eine Weltanschauung, mit der sich das Amerika des 19. Jahrhunderts immer weiter von Europa entfernte: Nicht die Natur, nicht der Baum mit seinen Wurzeln, nicht das Wachstum an sich prägten das Bild von den Vereinigten Staaten, wenn man von Menschen und Organisationen sprach, sondern die Maschine, das Machen, das Schaffen. Fords Fließband machte aus dem Menschen eine »Arbeitsmaschine« – und die Amerikaner akzeptierten das, lobten ihn sogar dafür. Und Fords Umgang mit der Materie war ebenso revolutionär.
    So unsicher amerikanische Männer im Kontakt mit ihren Mitmenschen sein können, schreibt der Anthropologe Geoffrey Gorer, so selbstsicher, abgeklärt, kühn und kreativ ist ihre Haltung gegenüber der Materie. »Seinem Werkstoff steht der Amerikaner als absoluter Herrscher gegenüber. […] Seine Vorstellung, seine Absicht geht allem anderen vor. Gibt die Natur nicht das dazu erforderliche Material her, so setzt er alles daran, durch Verbesserung von altem oder Erfindung von neuem Material die Mittel zur Verwirklichung dessen, was ihm vorschwebt, zu erreichen.« Das war Henry Ford, wie er leibt und lebt.
    Steinbeck vertrat die Ansicht, dass der offensichtliche Erfindergeist der Amerikaner eine Folge purer Notwendigkeit war: Ohne ihn wäre es unmöglich gewesen, in der einsamen Prärie zu überleben. »Wer von uns hat nicht um einen Pappenstiel einen alten, ausrangierten Wagen gekauft und mit Bestandteilen aus anderen ausgedienten Wagen etwas zusammengesetzt, was funktioniert?« Auch in älterer Literatur über Amerika wird dieses Phänomen immer wieder bemerkt und erwähnt. Jeder beliebige Amerikaner, schrieb Alexis de Tocqueville bereits 1832, sei feurig in seinen Wünschen, unternehmerisch, abenteuerlich und vor allem ein Erneuerer. Nichts halte ihn davon ab zu erneuern. Alles bringe ihn zur Erneuerung.
    Der Dichter und Essayist W. H. Auden meinte, das »maschinelle Denken« hänge eng mit der einzigartigen Vorstellungskraft der Amerikaner zusammen; weil Arbeit und Industrie in Amerika als Zivilisation gelten, würden hier nicht Mythen demontiert, sondern im Gegenteil geschaffen. George Santayana ging noch einen Schritt weiter: Seiner Meinung nach denken die Amerikaner sogar in zwei vollkommen getrennten Welten. Mit der einen Hälfte ihres Hirns sehen sie die wirkliche

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