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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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denen, die es schaffen, sondern von jenen, die nach einem schrecklichen Erlebnis – der Norden, der Schneesturm, der Schiffbruch – die Rückkehr überlebten.«
    London, Ontario, verströmt augenscheinlich dieselbe Traurigkeit wie die amerikanischen Städtchen, die wir zuvor gesehen haben: eine desolate Zufahrtsstraße, endlose Hochspannungsleitungen, links und rechts Autoverwertungsbetriebe, Lagerschuppen und Fastfoodfilialen, dahinter eine kahle Ebene. Dann eine Innenstadt mit lauter Lücken, leeren Flächen, hier und da noch ein altes Kakerlakenhotel. Gleich daneben eine Handvoll glänzender Bürohochhäuser und ein nagelneues Einkaufszentrum, zwei Welten, die höchstens hundert Schritte voneinander entfernt liegen. Im Herzen der Stadt, vor dem Starbucks, die Gruppe kleinstädtischer Obdachloser, die man auch überall in den Vereinigten Staaten findet, permanent kichernd, essend und trinkend: Kaffee, Dosencola, Hähnchenschenkel, Hot Dogs und fettige Kuchen.
    In der Gaststätte liegt The London Free Press . Soeben ist eine Bestandsaufnahme der London Community Foundation erschienen, aus der hervorgeht, dass es der Stadt gar nicht so schlecht geht. 5,6 Prozent der Kinder leben hier unter der Armutsgrenze, etwas weniger als 1 Prozent der Bevölkerung nimmt die öffentliche Essensausgabe in Anspruch, ein Bruchteil dessen, was in den Vereinigten Staaten üblich ist. Außerdem hat fast jeder in London Zugang zu hervorragender Schulbildung und exzellenter Gesundheitsfürsorge, und der Gemeinschaftssinn ist gut entwickelt. »Wir sind wirklich multikulturell«, schreibt die Zeitung stolz. Es gibt einen wütenden Leserbrief, der Schreiber meckert: »Ich frage mich, wie es sein kann, dass auf Booten eingeschmuggelte illegale Tamilen unsere Küsten erreichen und anschließend die beste medizinische Versorgung erhalten, die dieses Land zu bieten hat, und dazu noch endlose finanzielle Unterstützung auf Kosten des Steuerzahlers, während wir als Land uns weigern, anständig für unsere eigenen Leute zu sorgen …«
    Einer der Obdachlosen hat sich mittlerweile in der Kneipe niedergelassen, ist dort eingeschlafen und will nicht mehr aufstehen. Es kommt zu einem Disput, zwei kanadische Polizisten erscheinen, sie ziehen sorgfältig weiße kanadische Handschuhe an, packen den Mann, führen ihn höflich wieder hinaus auf die nasse kanadische Straße und ziehen ihre Handschuhe wieder aus.
    Auch wir machen uns wieder auf den Weg, steigen in unseren Jeep, verlassen die Innenstadt, überqueren die Gleise, fahren lange durch hübsche Villenviertel, nein, hier ist alles bestens.
    Chatham, Tilbury, und schließlich die prüden Alleen Windsors. Wir fahren geradewegs auf den Detroit River zu, am anderen Ufer liegt Amerika schon wieder in Reichweite. Rein in den Tunnel, der unter dem Fluss durchführt, am Ende befindet sich eine kleine Grenzstation, ein amerikanischer Beamter fragt uns amüsiert, was wir in Gottes Namen in Kanada wollten, und dann sind wir im Herzen der Millionenstadt Detroit. Die Ampeln springen von Grün auf Rot und zurück, ohne dass ein Auto die Kreuzung passiert. Der Wind treibt eine alte Zeitung über die breite Stadtstraße, hinter den dunklen Scheiben der Büro- und Hoteltürme leuchtet hier und da ein Lichtlein, dann und wann rumpelt über unseren Köpfen eine Einschienenbahn hinweg, aber ansonsten ist es totenstill. Die Stadt scheint zu schlafen.
    4
    Als John Gunther 1945 nach Detroit kam, bat er um ein Interview mit dem großen Henry Ford. Der legendäre Autopionier lebte damals noch, er sollte erst zwei Jahre später sterben. Und tatsächlich, Ford war bereit, den herumreisenden Journalisten zu empfangen. Gunther hatte bereits ein paar Jahre zuvor einmal mit ihm gesprochen, in Fords Privatbüro in Dearborn, der Vorstadt von Detroit, in die er 1927 mit seinem Industrieimperium gezogen war. Der mächtige alte Mann saß hinter einem fast leeren Schreibtisch, aber die Fensterbänke lagen voller Spielzeug – Gummitiere und -puppen –, das er bei seinen Spaziergängen an die Kinder in der Nachbarschaft verteilte. Daneben stand ein Tisch, auf dem eine Vielzahl von Uhren lagen. Henry Ford war Zeit seines Lebens von der Mechanik begeistert, er liebte es, Uhren vorsichtig auseinanderzunehmen, mit Zeit und Geschwindigkeit zu spielen.
    Ford hatte seine Arbeiter immer gut bezahlt. 1914 war er der Erste, der einen Tagesmindestlohn von 5 Dollar einführte; seine Konkurrenten erklärten ihn für verrückt. Wenn ihm jedoch

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