Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
GM produzierte in manchen Jahren mehr Autos als alle seine Konkurrenten zusammen.
Henry Ford war mit seinem Fließband der erste Massenproduzent. Jahrelang baute er nur ein einziges Modell, in einer einzigen Farbe. Das erste Auto für den einfachen Mann, der Ford T, war vor allem ein solider Gebrauchsgegenstand. Bei General Motors führten die Designer das Zeitalter des Automobils dann in eine zweite Phase. Ihre Autos wurden ab den zwanziger Jahren immer stärker als Statussymbole präsentiert, und die zahllosen Amerikaner, die eifrig dabei waren, sich in die Mittelschicht hinaufzuarbeiten, waren dafür außerordentlich empfänglich.
Sei es der Inhalt unseres Bücherregals oder der Kauf einer bestimmten Automarke, was wir besitzen, sagt etwas über uns selbst. Aber bei den Amerikanern des 20. Jahrhunderts und ihrer frohgemuten Vorstellung, dass man immer wieder von vorne anfangen kann, ging es noch weiter. Amerikaner, so meinten manche Kritiker, versuchten sich vor allem durch den Kauf von Gütern neu zu erschaffen. Der Erwerb des neuesten Automodells war ein Statement. Um diese Botschaft zu unterstreichen, wurden den Autos im Laufe der Jahre immer neue Details hinzugefügt – Chromleisten, auffällige Farben, Heckflossen –, und wie in der Bekleidungsindustrie entstanden Trends und Moden. Indem man immer wieder neue Modelle präsentierte, Jahr für Jahr, weckte man bei den Autofahrern eine Art Ruhelosigkeit: Ist es nicht wieder einmal Zeit für einen neuen Wagen? Gerate ich nicht ins Hintertreffen?
Schließlich wurde Kritik daran laut, auch innerhalb der Autoindustrie. Die Form sei wichtiger geworden als der Inhalt und die Funktion, warnte einer der bedeutendsten Designer, Raymond Loewy, 1955, und er bezeichnete die neuesten Modelle als jukeboxes on wheels . Was unter der Motorhaube passierte, war nicht mehr vorrangig.
Die Spirale des Neuen um des Neuen willen trug nach Ansicht von Branchenkennern den Keim des eigenen Untergangs bereits in sich. Doch das wollte niemand hören. 1956 kam mehr als die Hälfte der in Amerika verkauften Autos von General Motors. Und gut drei Viertel dieser Wagen waren Chevrolets.
Chevys gehörten, schreibt David Halberstam in The Fifties , definitiv zu der kurzen Liste von garantiert amerikanischen Dingen, die man sonst nirgendwo auf der Welt sah: Coke, ein Baseballspiel der World Series, das Grillen von Hamburgern im Garten, die Zeichnungen von Norman Rockwell in The Saturday Evening Post . Das 1958er-Modell wurde mit einem Reklamespot an den Mann gebracht, in dem ein hübscher blonder Junge – welch Überraschung – plötzlich ein nagelneues Cabrio von Chevrolet vor der Tür stehen hat. Sein Geschenk zum Abitur. Kleine Heimlichkeit von dad – weise und gutgelaunt –, mom – etwas strenger – und sis – ein wenig kess. »Es ist nur allzu deutlich«, so Halberstam, »dass dies ein phantastischer Junge, eine phantastische Familie, ein phantastisches Auto ist.« Im Hintergrund erklingt der Chevy-Jingle jener Tage: » See the USA in your Chevrolet .«
General Motors gehörte zu Steinbecks Zeit so selbstverständlich zu Amerika, dass fast niemand ein Problem darin sah, als zum Beispiel der wichtigste Mann des Konzerns, Charles E. Wilson, auf einen der wichtigsten Regierungsposten des Landes wechselte und Verteidigungsminister wurde. Als man ihn nach eventuellen Interessenskonflikten fragte, antwortete er: »Jahrelang habe ich gedacht, was gut für das Land ist, ist auch gut für General Motors. Und umgekehrt.« Vor allem die letzte Bemerkung ist vielsagend.
General Motors war Amerika, auch als es schlechter lief. Jahrzehntelang hatte der Konzern kaum mit ausländischer Konkurrenz zu kämpfen. Er schwamm, wie die gesamte amerikanische Autoindustrie, auf billigem Öl, problemlos bereitgestelltem Regierungsgeld für die neuen Highways und einem Überfluss an Land und Wasser für all die neuen Suburbs, in denen ein Auto unverzichtbar war. Doch da vor allem das Design und das Image im Vordergrund standen, veralteten die Wagen hinsichtlich ihrer Technik mit der Zeit immer mehr. Außerdem hatten die Gewerkschaften erstklassige Löhne und Sozialleistungen erstritten, und all diese Verpflichtungen waren im Laufe der Jahre zu einer bleischweren finanziellen Belastung geworden. General Motors war derart gewachsen, dass allein schon seine Größe jede Ineffizienz verdeckte, und das jahrelang.
In den sechziger Jahren begann dann der Niedergang. Der Verbraucherschützer Ralph Nader machte
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