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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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öffentlich, dass amerikanische Autos – namentlich der Chevrolet Corvair – nicht sicher waren. Ihre Straßenlage war bekanntermaßen schlecht. Während der Ölkrise wurde zudem deutlich, dass sie noch dazu unwirtschaftliche Spritsäufer waren. Volkswagen zeigte währenddessen, dass es eine sparsame und gediegene Alternative gab: Der Käfer war ein Wagen, an dem fast keine Veränderungen vorgenommen wurden, eine »ehrliche Maschine«, die, wie eine Autozeitschrift schrieb, sich ausgezeichnet verkaufte, »weil er nicht vorgibt, etwas anderes zu sein, als er ist«. Auch die japanischen Automarken, solide, sparsam und modern, sahen ihre Verkaufszahlen Jahr um Jahr kräftig steigen. Immer mehr Amerikaner kamen zu dem Schluss, dass ihre Chevys, Fords und Chrysler nicht mehr zeitgemäß waren.
    Ein Bekannter erzählte mir einmal, dass er als junger Angestellter bei General Motors 1976 auf einer Betriebsversammlung den Vorschlag gemacht hatte, auch kleinere und sparsamere Autos zu bauen. Die Antwort der Firmenleitung kam prompt: »So etwas machen wir nicht, und so etwas werden wir auch nie machen.« Mein Bekannter: »Ich dachte: Das ist der Anfang von euerm Ende. Ihr seid blind und seht nicht, was in der übrigen Welt passiert. Ihr passt euch nicht an, aber am Ende werdet ihr der Welt egal sein. Ich habe mir einen anderen Job gesucht.«
    Am 1. Juni 2009 musste General Motors Insolvenz anmelden. Aktiva von 82 Milliarden Dollar stand eine Schuldenlast von 172 Milliarden Dollar gegenüber. Mit staatlichen Geldern in Milliardenhöhe wurde der Konzern im letzten Moment vor dem Bankrott gerettet.
    Seitdem hat sich vieles gebessert. General Motors ist erneut der größte Autobauer der Welt, mit mehr als zweihunderttausend Angestellten und Fabriken in gut dreißig Ländern. In technischer Hinsicht hinken die Autohersteller in Detroit aber immer noch hinter den Japanern und den Europäern her: Laut den Zahlen der Environment Protection Agency rangieren sie, was den durchschnittlichen Benzinverbrauch ihrer Produkte angeht, im Jahr 2010 unverändert im untersten Tabellenbereich. Drei der vier letzten Plätze haben Unternehmen aus Detroit inne. Auf der North American International Auto Show in Detroit, früher einmal ein absoluter Pflichttermin für die ganze Autobranche, gibt es wenig oder nichts Neues zu entdecken. Alle Innovationen kommen heute aus Europa oder Japan, sagen die Experten der New York Times . Der Fokus hat sich verschoben, alle Augen sind nun auf die Frankfurter Automobilausstellung gerichtet.
    Für die Arbeiter in der Autostadt zog der Niedergang katastrophale Folgen nach sich. 1970 hatte General Motors in ganz Amerika 468 000 Arbeitnehmer beschäftigt, ein Großteil davon in und um Detroit. 2010 waren es noch 52 000.
    Detroit ist ein Brennpunkt, eine Stadt, in der die großen sozialen und ökonomischen Probleme der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf fatale Weise zusammenkommen: Massenmigration, eine schrumpfende Wirtschaft, Globalisierung; und dazu gesellt sich der Zerfall der alten sozialen Strukturen wie Familie und Nachbarschaft. Die Stadt war – und ist – der Kulminationspunkt der Probleme, die John Steinbeck bereits ahnte und die ihn zu seiner Amerikaexpedition veranlasst hatten. Öffentlich hat er sich dazu kaum geäußert. In Die Reise mit Charley schimmert ein wenig von diesen Gefühlen durch, das später erschienene Amerika und die Amerikaner beendet er, trotz allem, mit einem Loblied auf die Kraft dieses Landes – »unser unsagbar geliebtes und schönes Land in seiner Weite, seiner Zugänglichkeit und Fruchtbarkeit« –, genau so, wie es sein Publikum von ihm hören wollte. In Wirklichkeit war Steinbeck, wie aus seinen Briefen und Notizen hervorgeht, sehr besorgt hinsichtlich der Zukunft seines Landes.
    Und damit stand er nicht allein. Journalisten und Intellektuelle führten zur selben Zeit eine intensive Diskussion darüber, was Amerikas Aufgabe in der neuen Welt von 1960 sein könnte. Es war, in ihrer Zielstrebigkeit, eine typisch amerikanische Frage: Wonach strebt unser Land, jetzt, wo so unglaublich viel erreicht ist? »Die essentielle Schwäche unserer Gesellschaft ist, dass die Amerikaner, jedenfalls zur Zeit, keine großen Ziele haben, die sie gemeinschaftlich erreichen wollen«, schrieb der Kolumnist Walter Lippmann. »Wir reden heute über uns selbst, als wären wir eine vollendete Gesellschaft, die ihre Ziele erreicht hat und der ansonsten nichts Großes mehr zu tun

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