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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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amerikanische Erfindung weltweit patentiert hat. |49| Hatte allerdings Coppola noch mit einem Stativ und dem alten Trick des Zeitraffers gearbeitet, fliegen heute die Kameras per
     Computeranimation durch virtuelle Welten. Kubrick hatte das Prinzip bereits entdeckt: Die Schlußsequenz von
2001
mit ihrem Flug durch eine endlos abrollende Farbmatrix war eine echte Prophezeihung in der Welt der Bilder. Die Reise durch
     ein Raum-Zeit-Kaleidoskop. Die Fahrt über einen kosmischen Broadway.
    Mittlerweile verkaufen die Chiphersteller ihre Schaltkreise und Prozessoren mit Achterbahnfahrten durch Neonkanäle und blitzende
     Datenströme, die die Menschheit darauf vorbereiten sollen, daß der Jahrmarkt der Jahrmärkte in nicht allzu ferner Zukunft
     im Cyberspace stattfindet, eine permanente Spaßsimulation auf einem völlig neu entdeckten virtuellen Kontinent, einem Überamerika,
     das nirgendwo ist und gleichzeitig überall.
    Vielleicht ist es dieser Vorgang, der durch das erste Gebot ursprünglich verhindert werden sollte. Es war der Versuch, die
     Menschen nicht aus der Realität entkommen zu lassen, und damit für das jüdische Volk nach der Flucht aus Ägypten vermutlich
     überlebenswichtig. Heute stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht umgekehrt ist. Zumindest kann man darüber nachdenken,
     was man denn mit sechs Milliarden Menschen in einer Realität will, in der es für viele nicht mehr um Überlebenssicherung geht?
     Aus Ägypten zu fliehen schafft eine Identität – satt zu sein nicht. Vielleicht werden am Ende nur noch Bilder in der Lage
     sein, den Menschen zu Geschichten zu verhelfen.
     
    Kristin startet den Wagen. Sie fahren den Weg zurück, den Walter und Jan nachmittags gekommen sind, bis sie in den Central
     Park biegt. Die Straße verläuft kurvig zwischen Bäumen und Felsen. Dann perlt vor ihnen wieder |50| eine Rücklichterkette in einem Schacht aus neonweißen Fenstern. Die Wolkendecke hat sich aufgelöst und ein klares, toskanisches
     Blau zurückgelassen, das merkwürdig unbewegt hinter den dahinziehenden Fassaden ruht; das Blau, bei dem man als Autofahrer
     nicht sicher ist, ob man bereits die Scheinwerfer einschalten soll. Das Licht zieht sich aus der Stadt zurück, die Gebäude
     saugen die Dunkelheit des Asphalts auf wie in Kaffee getauchte Zuckerstückchen.
    Die Positionsleuchten eines Hubschraubers tauchen kurzzeitig zwischen den Hochhäusern auf. War es früher nicht möglich, überlegt
     Jan, auf dem Dach des
PanAm -
Gebäudes
zu landen? Die
PanAm -
Pleite vor einigen Jahren hatte ihn erstaunt. Er war mit einer unerschütterlichen Ehrfurcht vor der blauen mit weißen Meridianen
     durchzogenen Kugel groß geworden. Das Emblem des Überall. Als es hieß,
PanAm
würde aufgekauft, war es, als würde Amerika sich selbst aufkaufen, beziehungsweise ein neues Amerika kaufte ein altes auf
     und liquidierte es. Jan war verblüfft von der Konsequenz, mit der kapitalistische Logik mit kapitalistischen Traditionen brach.
     Der Buick rollt vorbei an gläsernen Fronten, gegossen in das Blau des Himmels darüber, ein Gasflammenblau jetzt, übersät mit
     Reflexionen, als hätte man einen Pinsel mit phosphoreszierender Farbe ausgeschlagen. Lichtblitze, irreal wie Netzhauttäuschungen,
     nachdem man geblendet worden ist, huschen hastig über die Scheiben. Die Spiegelbilder fahren ihren Bildern davon, lösen sich
     endgültig von ihnen und bewegen sich schwerelos durch die drei Dimensionen der Stadt. »In Berlin zanken sie sich darüber,
     ob sie Schlösser wieder aufbauen und Hochhäuser verbieten sollen«, sagt Jan.
    »Wie?« Kristin ist in Gedanken.
    |51| »Ging mir gerade so durch den Kopf.«
    Jan sieht wieder hinaus: Glasfronten, in denen sich Glasfronten spiegeln. Fassadenpingpong. Dann wieder Marmorportale oder
     Backsteinmauern, jeder Block ist anders und doch sind sie sich gleich, die Stadt sät sich selbst. Kristin biegt in eine Seitenstraße,
     bremst und steuert den Buick an den Straßenrand. Sie steigen aus. Es ist fast dunkel jetzt, weit nach Mitternacht in Deutschland,
     rechnet Jan, aber im Moment spürt er keine Müdigkeit, er fühlt sich in Form. Er hat den Eindruck, New York klinge anders als
     vor ein paar Stunden, nicht weniger geschäftig, aber entspannter. Als seien die Bierdosen geöffnet oder die Weinflaschen entkorkt.
     Die Dämmerung hat auch hier etwas Geheimnisvolles. Man fühlt die Nacht kommen. Wenn Jan abends aus dem Haus geht, hat er hin
     und wieder eine Ahnung, daß

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