Amerikanische Reise
und der Klang ihrer Stimme hat sich endgültig verhärtet. »Du redest nur noch Scheiße.
Ich gehe ins Bett.« Sie geht zur Tür, Jan sieht sie auf sich zukommen – sie sieht ihn nicht.
»Weglaufen. Großartig!« Walter stellt sich seiner Frau in den Weg. »Kommt nicht in Frage.« Aus den Boxen rauscht und pfeift
es nur noch. Kristin bleibt vor ihm stehen. Jan haben sie vergessen, er lehnt am Türrahmen wie eine abgestellte Schaufensterpuppe.
Kristin sieht Walter an. »Was ist? Ich betreibe mit Freunden eine Galerie, und Rick hat mich irgendwann gefragt, ob er mich
fotografieren kann. Wenn du wieder klar denken kannst, erkläre ich dir, wie es dazu gekommen ist. Aber nicht so.«
»Aber nicht so!« Walter wird laut. Die Musik zerfließt über das gesamte Frequenzspektrum. »Wie denn? Also bitte: erklär es!
Ich höre.«
Sie schweigt. Das Rauschen aus den Boxen verebbt, und Stille breitet sich im Zimmer aus. Anstatt irgend etwas zu erklären,
sieht Kristin Walter mit leerem Blick an. Es erscheint ihr sinnlos, etwas zu erklären, was er nicht verstehen kann. Walter
nickt. Er glaubt, verstanden zu haben. »Wenn du wüßtest, wie lächerlich du auf dem Foto aussiehst«, sagt er.
Kristin besinnt sich wieder. »Bestimmt nicht lächerlicher als du!« Sie dreht sich zum Rechner, auf dem sich inzwischen der
Bildschirmschoner eingeschaltet hat. Weiße Pünktchen fließen aus der Mitte des Monitors zu dessen Rändern.
»Natürlich!« Walter ist in seinem Element. »Wie bescheuert, Tag für Tag ins Büro zu gehen, wenn man doch |80| von morgens bis abends vögeln kann. Was bin ich doch für ein Idiot!«
»Du redest Scheiße. Du redest einfach Scheiße. Mit wem lebe ich seit zehn Jahren zusammen? Mit einem kleinen, boshaften Spießer.«
»Ja, bitte! Mehr! Laß es raus!«
Kristin wendet sich ab, geht zum Fenster und sieht hinaus. »Hör auf. Hör bitte auf. Wir wissen nicht mehr, was wir sagen.«
Walter schüttelt den Kopf. »Ich weiß genau, was ich sage.« Er macht eine kurze Pause und erstarrt für einen Moment. »Und ich
sage: Eure Galerie ist nichts als ein Fleischmarkt. Ein Fleischmarkt für satte, gelangweilte Wohlstandskreaturen.«
Kristin dreht sich hastig um, entschlossen, jetzt keine Friedensangebote mehr zu machen. »Du hast recht. Du öffnest mir die
Augen. Wir haben den Spaß aus unserem Leben verdammt. Du verachtest ihn ja schon. Laß dich beerdigen in deinem Börsenschlamm!«
Walter geht auf sie zu. Jan befürchtet, die Situation könnte außer Kontrolle geraten. »Wir leben von diesem Börsenschlamm!«
schreit Walter sie an. »Du bist dir doch nur zu fein, eine alltägliche Arbeit zu machen. Du willst keinen Job. Du willst kein
Kind. Aber einen ordentlichen Stecher, den willst du.«
Kristin sieht ihn an. Sie wird größer, dehnt sich, eine Mechanik aus Gelenken und Winden. »Was?« Sie macht noch einen Schritt
auf ihn zu. »Du Grabscher und Sekretärinnenbefingerer? Das sagst
du
mir?«
Walter ist einen Moment irritiert. »Was soll denn
der
Unsinn?«
Jetzt ist Kristin entschlossen, die Karten auf den Tisch zu legen. »Meinst du, ich wüßte nicht, was hier läuft? Und |81| ich sage dir: Ich will nicht, daß du dich in irgendeiner Weise in meine Angelegenheiten mischst. Du brauchst dich nicht um
einen Job für mich zu kümmern. Und auch nicht um ein Kind. Das ist nicht mehr nötig.«
Walter bleibt stehen. »Wie meinst du das?«
»Ich war gestern beim Arzt. Ich bin schwanger.«
Walter dreht sich ihr wieder zu. Die beiden erstarren für einen Moment. Walter fühlt seine Wut sich auflösen. Er bleibt zurück
wie eine leere Hülle, die sich langsam wieder mit Zuneigung füllt. Ein warmes Gefühl fließt in seinen Körper, das zuerst seine
Beine auftaut, dann seine Arme, seinen Brustkorb, und schließlich kann er wieder reden, weich und ohne Reste jeder Empörung.
»Das ist doch wunderbar,« sagt er. »Ich freue mich!«
Kristin gelingt die Wandlung nicht. Ihr Körper steht unter Zug wie die überspannten Saiten einer verstimmten Geige. Nur noch
Mißtöne schwingen in ihr, eine jede Harmonie hassende Atonalität. Walter steht vor ihr wie ein kleiner Junge, der ein Gedicht
richtig aufgesagt hat und trotzdem das Lob nicht bekommt, das er erwartet. »Ich freue mich nicht«, sagt sie.
Walter versteht sie falsch. Sein Körper beginnt wieder einzufrieren. »Soll das heißen, das Kind ist nicht …«
Kristin schneidet ihm das Wort ab. »Das soll es nicht heißen.« Sie
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