Amerikanische Reise
dreht sich zur Tür. »Was für ein Hohn«, sagt sie, »daß
du das, was ich will, Schnickschnack nennst, und das, was ich nicht will, wunderbar findest. Wie absurd das alles. Du verstehst
nichts, gar nichts. Mein Gott, schwanger! Rutsch doch einer von deinen Sekretärinnen auf den Schoß, dann hast du eine, die
in der Bank arbeitet und ihn dir von morgens bis abends lutscht. Viel Vergnügen.«
Sie geht aus dem Zimmer und beachtet Jan, die Schaufensterpuppe |82| im Türrahmen, nicht. Kurz darauf schnappen die Schlösser der Wohnungstür.
Walter setzt sich auf seinen Arbeitsstuhl. Er schweigt. Über den Monitor strömen immer noch die Pünktchen des Bildschirmschoners,
die ihm lautlos entgegenkommen. Als er sich auf die Tischplatte stützt, springt das Bild um: Zahlen, Tabellen. Walter starrt
auf die Mattscheibe wie auf eine Kristallkugel, aber keine Bilder aus der Zukunft erscheinen, keine aus der Vergangenheit,
der Rechner ist ebenso ratlos wie er. Er bietet nur Zahlen, die Walter anstieren wie ein Haufen ausgenommener Fische.
Er nimmt sich eine Zigarette aus der Schachtel und zündet sie an. Er bläst den Rauch gegen den Monitor. Das Bild springt wieder
um, die weißen Pünktchen fließen durch Nebel auf ihn zu, schütter und ärmlich, als fahre man durch eine nur mit dem Notwendigsten
beleuchtete Vorstadt, in der einem insektenverklebte Straßenlaternen in trübseligem Abstand entgegenkommen.
|83| 2 black monday
|85| Dies sind die Absichten, die uns bei Abfassung unseres Werkes leiten sollen. Und zu diesem Behufe müssen wir uns der zynischsten
Sprache, der unsittlichsten und gottlosesten Ideen bedienen, um das Verbrechen so zu malen, wie es ist, das heißt, immer triumphierend,
immer zufrieden, immer beglückt, und ebenso die Tugend, wie sie wirklich aussieht: immer unglücklich, immer leidend, immer
unterliegend.
MARQUIS DE SADE,
Justine
Where will his come go? Nowhere but mix with her shit.
JOHN UPDIKE ,
Rabbit is Rich
|87|
Wrong way.
Jans Blick haftet kurz an dem roten Schild mit der schwarzen Schrift. Dann fließt es aus seinem Blickfeld wie die gerade entzündeten
Straßenlaternen, die aus der Mitte der Frontscheibe quellen und zu deren Rändern fließen. Zu beiden Seiten des Highways liegen
pralinenschachtelförmige Einkaufszentren,
Malls,
und geziegelte einstöckige Schuhkartons mit quadratischen Fenstern und einer Banderole aus lustlosen Neonreklamen. Dazwischen
hin und wieder die
Drive-thru’s
der großen Fastfoodketten. Die Ampeln hängen wie stillgelegte Gondeln an diagonal über die Fahrbahn gespannten Kabeln, müde
Lampions an einem Ort, an dem schon lange keine Party mehr stattfindet.
Jan schaltet das Licht ein. Die Sonne ist sang- und klanglos untergegangen, ein staubiger Kürbis, der sich eine Handbreit
über dem Horizont aufgelöst hat, wie ein träge treibender, porös gewordener Heißluftballon. Die Gegenstände beginnen in der
Dämmerung ihre Farben zu verlieren. Die mit erstaunlicher Regelmäßigkeit an Gebäuden hängende amerikanische Flagge wird zu
einem beliebigen Stück Stoff.
Jan fährt auf der rechten Spur. Eine Woche ist jetzt seit seiner Ankunft in New York vergangen, und er hat von der Stadt noch
nichts gesehen, außer der Skyline, die ihn, als Walter ihn vom Flughafen abholte, beeindruckt hat, |88| als handele es sich um die Aufbauten eines einzigartigen Ozeanriesen. Jetzt, von Westen kommend, ist Jan enttäuscht: zusammengewürfelte
ebenerdige oder höchstens eingeschossige Häuser erstrecken sich Meile um Meile entlang der Straße, als hätte jemand billige
Spielsteine auf einem Schachbrett verteilt. Dazwischen Gerüste mit verwitterten Reklametafeln:
New Ford Explorer. The Best The World Has To Offer.
Ab und an ein ausgebranntes Haus. Der Buick fährt unter den schwarz angelaufenen Klinkern einer Eisenbahnbrücke durch, deren
Rundbögen schräg über die Straße setzen. Die Schienen laufen wie ein mißlungener Strich über Millimeterpapier. Ein Querschläger,
ein Komet.
Shoemaker-Levi,
denkt Jan. Nach fast zweitausend Kilometern nonstop fließen die Dinge in seiner Wahrnehmung ineinander.
Jan erinnert sich an die kurze Zeitungsnotiz, mit der vor gut einem Jahr der gestrige Treffer im planetaren Billard angekündigt
wurde. Spätestens seitdem hatte
Shoemaker-Levi
nicht mehr die Freiheit, sich gegen eine Kollision mit Jupiter zu entscheiden. Er folgte gehorsam den Berechnungen der Astronomen,
deren
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