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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Sehnen, das allmählich in
     Arme, Beine, Rücken und Nacken zerfällt, die alle eine Zeitlang falsch gelagert worden sind. Es zieht und reißt. Der Geschmack
     schalen Bieres haftet auf seiner Zunge.
    »Wir sind da«, sagt Kristin.
    Jan versucht, sich in die Realität zu kommandieren. »Jetlag«, sagt er. »Wie spät ist es denn?«
    »Eins ungefähr«, sagt Kristin, dreht sich um und geht voraus. Jans Blick haftet an ihrem Rock, ihren Beinen – er schüttelt
     kurz den Kopf und fährt sich mit beiden Händen durch die Haare.
    Er folgt ihr in den rot ausgekleideten Fahrstuhl. Dann betreten sie die Wohnung. Aus dem Wohnzimmer fällt noch Licht in den
     Flur, außerdem Musik, ein aus den Fugen geratenes Gitarrensolo von Jimi Hendrix. Walter sitzt am Rechner, stiert auf den Bildschirm
     und raucht. Ein Kokon aus Börsenkursen und Nikotin umgibt ihn.
    »Warum bist du denn gegangen?« fragt Kristin.
    Walter antwortet nicht.
    Kristin bleibt in der Tür stehen. »Doch nicht wegen der paar Bilder?«
    Walter bläst Rauch gegen den Monitor, der Qualm verwirbelt nach allen Seiten.
    |77| »Walter«, sagt sie und zieht ruhig ihr Jackett aus, als gehe es um eine alltägliche Verstimmung. »Ich bin nicht zu erkennen.«
    »Ich habe dich erkannt«, stellt Walter fest.
    Sie geht in den Raum. »Oh, ich wäre beleidigt gewesen, wenn du mich nicht erkannt hättest«, sagt sie, bemüht um einen luftigen
     Tonfall.
    Walter tippt irgend etwas in die Tastatur. »So? Was liegt dir denn daran?«
    Sie stellt sich hinter ihn, legt ihre Hände auf seine Schultern und beginnt, ihn leicht zu massieren.
    »Ich arbeite«, sagt er.
    Sie gibt nicht auf. »Laß uns morgen darüber reden. Jan ist todmüde. Er ist im Taxi eingeschlafen.«
    Jan weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Er sieht einen Eisberg von Konflikten herantreiben und hält es für besser, das
     Schiff zu verlassen. Er könnte in der Küche einen Kaffee aufsetzen. Er bleibt in der Tür stehen.
    »Ich will überhaupt nicht darüber reden«, sagt Walter und versucht immer noch, mit ein paar Manipulationen auf dem Bildschirm
     seine Ungerührtheit zu beweisen. »Es gibt nichts zu reden. Du läßt dich nackt fotografieren, also bitte! Es ist dein Körper.«
    Sie stellt die Massage ein. »Allerdings.«
    »Mach mit ihm, was du willst.«
    Sie nimmt die Hände von seinem Rücken. »Hör doch auf, auf dieser Maschine herumzutippen!«
    »Einer von uns muß ja Geld verdienen«, sagt er. »Oder bezahlt dich Rick?«
    Sie setzt sich. Die Schatten ihrer Halssehnen gewinnen an Konturen. Ihre Bereitschaft, über die Angelegenheit in einer ruhigen
     und freundschaftlichen Atmosphäre zu reden, schwindet.
    |78| »Du verletzt mich«, sagt sie, und ihr Blick verändert sich wie der eines Hundes, der angegriffen wird. »Du weißt genau, daß
     es Rick um etwas anderes geht.«
    Endlich dreht Walter sich um. »Worum geht es ihm denn? Worum geht es überhaupt diesen   … Spinnern?« Er tut sich schwer damit, die Wahrheit, so wie er sie jetzt sieht, gegenüber Kristin auch als solche ungeschminkt
     zu benennen.
    »Du bist eifersüchtig«, sagt sie und schlägt noch einmal einen versöhnlichen Ton an, weich, seidig. »Morgen denkst du anders
     darüber.«
    Walter sagt einen Moment nichts. Aus den Boxen jaulen überdehnte Gitarrensaiten. Jimi Hendrix, denkt Walter, hat mit seiner
     Musik kompromißlos gesagt, was er empfand, und er ist entschlossen, die Karten jetzt auf den Tisch zu legen: »Du langweilst
     dich doch nur. Du hast dich von Rick aus purer Langeweile vögeln lassen.«
    »Du bist ja verrückt.« Kristin bemüht sich, ruhig zu bleiben, aber ihr Hals wird wieder sehnig.
    Walter steht auf. »Du, Rick – ihr alle langweilt euch zu Tode.«
    Kristin streicht eine Haarsträhne hinters Ohr. »Laß uns morgen reden. Gut, ich habe Fotos gemacht, und ich kann es dir erklären.
     Aber nicht, wenn du jetzt anfängst, alles kaputtzumachen.«
    Walter geht durch den Raum. Er hat seine Meinung geändert. »Ich will
jetzt
darüber reden. Und ich sage dir: Es hat mich nie interessiert. Diese ganze Galerie ist nichts als eine luxuriöse Form, Zeit
     totzuschlagen. Das ist meine Meinung, und war sie schon immer.«
    »Ach!« Ihre Stimme nimmt jetzt einen spröden Klang an, statt Seide, alter, kalkiger Frottee.
    Walter geht erregt durch den Raum. »Ich habe gedacht: |79| Bitte sehr, laß sie machen. Ich wäre aber nicht auf die Idee gekommen, daß ihr einen Puff betreibt.«
    Kristin steht auf. »Es reicht«, sagt sie,

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