Amerikanische Reise
rollen vorüber. Unter einem Fenster im ersten Stock eines Backsteingebäudes läuft endlos eine Digitalschrift:
Yoga including psychic development. Find the peace within. All class include deep relaxation.
Nach einer Weile hält eine der Taxen. Sie rutschen auf die kunstlederne Rückbank, und Kristin nennt die Adresse. Jan betrachtet
die Plexiglaswand zwischen Fahrer und Fahrgästen und die mit Paßfoto und Registriernummer an die Trennscheibe geheftete Fahrlizenz,
die aussieht wie ein Blatt aus einer Fahndungskartei. Jan dreht sich um und sieht durch das Rückfenster die Reklame der Yoga-Schule
blinken:
All is within.
Die Musik aus dem Radio fällt Jan auf, Klavier und Streicher, ein Quartett, Brahms vielleicht, überlegt er, er hätte alles
erwartet,
Hiphop, Soul, Mainstream –
er kennt nur die Namen, zu der Musik selbst hat er längst den Kontakt |72| verloren.
Nice music,
hört er sich sagen. Der Fahrer, ein Schwarzer, nickt und erklärt, daß er
old fashioned
sei, zumindest was die Musik angehe, und dann fragt er unvermittelt:
Are you married?,
eine einfache Frage, die Jan dennoch verwirrt, als gäbe es eine Das-kommt-darauf-an-Antwort.
Yes,
hört er Kristin sagen. Der Fahrer nickt zufrieden. Es gefällt ihm, daß Kristin und Jan verheiratet sind,
that’s nice,
sagt er und noch ein paar Worte mehr. Er ist auch in diesen Dingen
old fashioned. You have children?
fragt er.
We’re thinking about it,
sagt Kristin.
Ohh!
Mit dieser Haltung ist er nicht einverstanden. Er schüttelt den Kopf:
Don’t think about it. Just relax, and do it!
Jan nickt, obwohl er nie auf die Idee gekommen ist zu heiraten.
»Spielst du noch Geige?« fragt er Kristin.
She plays violin,
übersetzt er dem Fahrer, der anerkennend nickt. Kristin schüttelt den Kopf. Der Fahrer erkundigt sich, ob sie in einer Band
spielt.
No, just for myself,
sagt sie, was ihm wiederum nicht gefällt. Warum sie denn alleine spiele, Musik sei doch nichts, was man alleine mache.
That’s like talking to yourself,
stellt er fest. Ein merkwürdig helles Lachen bricht aus seinem dunklen Körper hervor. Er schüttelt den Kopf über diese verrückten
weißen Mittelständler, die in seinem Taxi landen und bei denen nichts mehr ohne Komplikationen geht, die weder in der Lage
sind zu musizieren noch Kinder in die Welt zu setzen.
Jan sieht Kristin an, hinter deren Profil Lichter vorbeiziehen, und stellt sich vor, er steige mit ihr beim nächsten Hotel
aus, eine der schäbigen Absteigen, in denen unschuldige Filmhelden vorübergehend Unterschlupf finden – er sieht sich durch
kaum beleuchtete Gänge gehen mit abgeplatzter, verblichener Farbe und verschrammten, schlecht schließenden Türen rechts und
links; in den Zimmern Metallrohrbetten mit verblaßten Synthetikbezügen |73| und graue Waschbecken mit tropfendem Wasserhahn und dunklen Rissen im stumpfen Email wie Flüsse auf einer Landkarte. Darüber
ein Spiegel mit abgesprungenen Ecken, teilweise erblindet, in dem man sich unrasiert und mit Staub in den Haaren gegenübertritt.
Das Taxi hält vor einem heruntergekommenen Eingang. Kristin zahlt und steigt aus. Jan folgt ihr durch eine Tür mit Milchglasscheibe,
dahinter schwaches, grünliches Neonlicht. Links ein schmaler, mit teils abgestoßenem Holzimitat furnierter Tresen, unbesetzt.
Sie gehen vorüber. Kristin erklärt nichts, und obwohl sie ihn nicht darum gebeten hat, schweigt auch Jan, eine unausgesprochene
Abmachung, nicht zu reden. Sie nähern sich einem gußeisernen Gitter mit angelaufenem Messinggriff, dahinter ein Schacht mit
schmutzigen Drahtseilen, die träge beginnen, sich zu bewegen, als Kristin auf den in der Wand eingelassenen Knopf drückt.
Es dauert, dann senkt sich der Fahrstuhl, eng wie eine Duschkabine. Kristin schiebt das Gitter zur Seite – das Rasseln der
Metallscharniere in der Stille des Flurs. Jan ist unsicher, ob er der alten Konstruktion die acht Stockwerke zutrauen soll,
für die sie laut Knopfleiste gebaut ist. Als er das dünnwandige Gehäuse betritt, hat er das Gefühl, es senke sich leicht unter
seinem Gewicht. Kristin zieht das Gitter zu, das Schattenmuster der Streben schiebt sich matt über die gegenüberliegende Wand.
Nicht acht, sondern neun Stockwerke sind es, stellt Jan fest. Mit einem Ruck setzt sich der Fahrstuhl in Bewegung. Sie stehen
Schulter an Schulter. Nach wie vor sagt sie nichts, Jan sagt nichts. Eine graugestrichene Wand mit gipsweißen Einkerbungen
und Schrammen läuft
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