Amerikanische Reise
in der Nähe von Chicago, Hunderte von Meilen von New York entfernt, aufgewacht
war, nicht entschieden gewehrt hatte gegen die Fahrt.
Jan wußte, daß Walter zu unkontrollierten Ausbrüchen neigte, wenn Dinge nicht so liefen, wie er sich das vorgestellt hatte
– Wutanfälle, die um so überraschender waren, als er in der Regel einen entgegenkommenden Umgangston pflegte. Es gab aber
Punkte, für die er kein Verständnis hatte, unter anderem Faulheit, die ihm eine mindestens ebenso bedeutende Zivilisationskrankheit
zu sein schien wie Zucker oder Übergewicht. Erstaunlicherweise konnte er auch über unfaire Geschäftspraktiken in Wut geraten,
weil er daran glaubte, die Wirtschaft sei eine saubere Sache und werde lediglich partiell durch aus dem Ruder gelaufene Gewinnsucht
einzelner verunreinigt – eine Haltung, |94| die Jan schlicht naiv fand. Walter konnte mit beeindruckender Ausdauer die Dynamik der freien Märkte loben und war überzeugt,
daß die Geschichte bewiesen habe, daß wesentlich mehr Unheil angerichtet werde, wenn man Menschen oder Institutionen die Entscheidung
über gesellschaftliche Entwicklungen überließ. Eigentlich waren für ihn fast alle Institutionen Einrichtungen zur Gängelung
innovativer Vernunft, allen voran die Gewerkschaften, die für ihn nichts als Advokaten der Faulheit waren, womit sich sein
Weltsystem schloß – ein System, das Jan in seiner Schlichtheit unangenehm gefunden hätte, wenn nicht die gelegentlichen Wutausbrüche
gewesen wären, die Jans Meinung nach zeigten, daß Walter noch ein Gefühl dafür hatte, daß die Welt nicht ganz so rund war,
wie er es gerne gehabt hätte.
Und auch an dem Abend vor einer Woche, als er sich mit Kristin gestritten hatte, war seine Welt ins Trudeln geraten. Die Konstruktion,
an der er immer noch hing – er, der erfolgreiche Börsenmakler, und Kristin, die erfolgreiche Mathematikerin –, diese Konstruktion hatte einen Riß bekommen, der kaum noch zu kitten war. Im Grunde hätte ihm schon lange klar sein können,
daß Kristin nicht mehr als Mathematikerin arbeiten würde.
Im Gegensatz zu Walter neigte sie dazu, sich Fehler und falsche Einstellungen vorzuwerfen. Nachdem sie der Universität den
Rücken gekehrt hatte, redete sie sich eine Zeitlang ein, die konkrete Mathematik, das Rechnen, sei die eigentliche Mathematik,
die, die der Menschheit Nutzen brachte, während der Rest nichts als ein egoistisches Vergnügen einzelner war, die Spaß daran
hatten, sich mit Kunstproblemen in einer Kunstsprache zu beschäftigen, eine Tätigkeit so nützlich wie das Lösen von Kreuzworträtseln
in Esperanto.
|95| Kristin bewarb sich nach ihrem mißlungenen Ausflug in die mathematische Forschung bei Versicherungen und fand eine Stelle.
Sie beschäftigte sich mit Policen, Zinsgewinnen, Unfallhäufigkeiten und der mittleren Lebenserwartung. Walter, der selten
Schwierigkeiten hatte, sich an veränderte Situationen anzupassen, gab den Gedanken an eine Wissenschaftlerin an seiner Seite
auf und freundete sich mit Kristins neuer Karriere als Versicherungsmathematikerin schnell an. Er vermutete, daß die in der
Versicherung benutzten rechnerischen Methoden auch im Zusammenhang mit dem Wertpapierhandel nützlich sein könnten.
Kristin stellte fest, daß sie in ihrem neuen Beruf zwar erfolgreicher war als in der Forschung, weil ihre Berechnungen tatsächlich
Verwendung fanden, aber glücklicher war sie deswegen nicht. Sie kam nicht umhin, sich einzugestehen, daß sie in eine seltsame
Falle gegangen war: Sie hatte etwas studiert, was sie interessierte, aber es gab mit dieser Ausbildung nichts zu tun, was
sie reizte. Sie hatte mit großer Perfektion ein Gericht zubereitet, das ihr, wie sie bei den ersten Bissen spürte, einfach
nicht schmeckte.
Jan fährt immer noch durch Viertel, die wirken wie ausgesaugt. Selbst die
McDonalds -
Reklame – das gelbe M im roten Viereck – macht einen apathischen Eindruck. Jan starrt auf das weltweit anzutreffende Emblem,
während er den Buick auf eine Ampel zurollen läßt. Soweit er weiß, hatte ein amerikanischer Unternehmer
McDonalds
als kleine, defizitäre Hamburgerkette vor rund dreißig Jahren gegen alle Warnungen von Freunden und Mitarbeitern aufgekauft
– der Beginn einer der Erfolgsgeschichten, mit denen die USA die Welt demütigen, als sei jeder Widerstand zwecklos. Jack Warner
verpfändete Anfang des Jahrhunderts |96| das Lieferpferd seiner Brüder und
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