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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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zurückgezogen. Vielleicht ist nicht Amerika die Sackgasse, sondern diese unbestimmte Lust in ihr, die Rick
     mit seiner Kamera einmal hat einfangen können, die sie aber für sich nie erobert hat, die ihr immer fremd geblieben ist.
    »Was die Fotografie angeht«, fährt sie fort, »ist Deutschland ein Entwicklungsland. Mit den Erfahrungen und Kontakten, die
     ich hier gesammelt habe, könnte ich dort sicher etwas bewegen.« Dann lächelt sie müde. »Mit meinem Wunsch, Dinge zu organisieren,
     bin ich hier häufig an Grenzen gestoßen.«
    »Und Walter«, fragt Jan, »will er zurück?«
    Kristin schüttelt den Kopf. »Alles, nur das nicht. Du kennst ja seine Meinung. Für ihn ist Deutschland eine Gewerkschaftsdiktatur,
     und er glaubt nicht, daß sich daran in nächster Zeit etwas ändern wird.«
    Jan trinkt seinen Kaffee aus. »Vielleicht bekommt er ja seinen Kredit«, sagt er.
    Kristin zieht jetzt auch das zweite Knie an und verknotet ihre Beine zum Schneidersitz. Beide Füße sind jetzt zwischen Polster
     und Jeansstoff vergraben. »Das bedeutet, daß er seinen Willen bekommt und ich nicht«, stellt sie sachlich fest.
    Jan nickt. Von dem Problem versteht er nichts. Er hat sich nie mit einer Frau darauf verständigen müssen, wo man gemeinsam
     leben will. Er steht auf. »Ich habe noch nicht geduscht«, sagt er.
     
    Walter kommt gegen sechs. Er zieht sein Jackett aus und lockert sich die Krawatte. Kristin steht in der Küche und hat gekocht,
     Nudeln mit Soße, die in einem geschlossenen Topf leise vor sich hin brabbelt. Walter begrüßt Kristin mit einem flüchtigen
     Kuß, es macht nicht den Eindruck, |139| als sei es während des Tages zu einer weiteren Katastrophe gekommen. Kristin öffnet eine Flasche Wein, lüftet den Deckel des
     Soßentopfes und gießt einen Schuß in die zähe Flüssigkeit, die lavaartige Blasen schlägt. Sie nimmt einen Löffel und rührt
     Hackfleisch und geraspeltes Gemüse an die Oberfläche.
    »Ich habe noch gar nicht mit dir gerechnet«, sagt sie und läßt noch einmal Spaghetti aus der Schachtel in das kochende Wasser
     rutschen, in dem sich bereits zwei Portionen Nudeln ineinander verschlungen haben.
    »Ich wollte wegen Jan nicht zu lange bleiben«, sagt Walter, nimmt sich ein Glas aus dem Schrank und gießt sich einen Schluck
     Wein ein. »Ich finde, wir sollten nicht immer diesen französischen Chardonnay kaufen«, sagt er. »Der kalifornische ist nicht
     schlechter und nur halb so teuer.«
    »Er schmeckt nach Nelken«, sagt Kristin.
    Walter geht ins Wohnzimmer. Jan hat den Fernseher angestellt, schaltet die Kanäle durch und sucht Nachrichten. Es ist an Kristin,
     denkt er, Walter zu fragen, was er in der Bank erreicht hat. »Sag mal«, fragt er, »gibt es irgend wo
CNN?«
    »Ziemlich weit vorne«, sagt Walter. »Drei oder vier oder so. Kristin programmiert gelegentlich um.« Er setzt sich. »Wie war
     es in der Stadt?«
    »Ich bin durch die Straßen gelaufen und habe die Atmosphäre geschnuppert.« Jan stellt den Ton des Fernsehers ab. »Aber ich
     glaube, morgen muß ich gezielter vorgehen, sonst komme ich nach Hause und habe weder die Freiheitsstatue noch das Empire State
     Building gesehen.«
    »So beeindruckend ist das gar nicht«, behauptet Walter.
    »Na ja«, sagt Jan. »Aber man fährt nicht nach Ägypten und sieht sich dann die Pyramiden nicht an.«
    |140| Kristin kommt mit Tellern ins Zimmer, stellt sie auf den Tisch und verteilt das Besteck. Walter steht auf und holt Gläser
     und Servietten. Jan spürt, daß er darauf wartet, endlich auf seinen Tag angesprochen zu werden.
    »Wir können essen«, sagt Kristin. »Ich lege in der Küche auf«, entscheidet sie und sammelt die Teller wieder ein.
    Walter setzt sich auf den Platz, der dem Rechner am nächsten ist und schenkt Wein ein. Seine Krawatte rutscht auf den Tisch,
     weil er sich vorstrecken muß, um Kristins Glas zu erreichen. Jan geht in die Küche und nimmt von ihr zwei Teller entgegen.
     Schließlich sitzen sie. Die Soße auf den Spaghetti schmeckt säuerlich, Jan lobt sie höflich. Kristin trinkt einen Schluck
     Wein. »Es fehlt Sahne«, sagt sie. »Es war keine mehr da.«
    »Es schmeckt sehr gut«, wiederholt Jan.
    Walter füllt die Gläser noch einmal auf. Danach trinkt er seins gleich zur Hälfte aus. Er will jetzt endlich gefragt werden,
     wie es gelaufen ist. Er findet, er hat es verdient, daß sich die anderen für seinen Tag in der Bank interessieren und nicht
     dafür, ob die Spaghetti gelungen sind

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