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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Kitsch und dem falschen Pathos verfallene Nation sind.
    Hank steht auf. Sie müssen nach Rapid City. Sie bezahlen und verlassen das
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der
Badlands.
Draußen ist es jetzt heiß. Der Wind weht nur noch schwach wie ein leichter Luftzug durch eine Sommerwohnung. Hank geht voraus
     und kramt in der Jeanstasche nach dem Autoschlüssel. Er ist groß, über einsfünfundachtzig, im Gegensatz zu Ariel, die höchstens
     einssechzig ist und, denkt Jan, keine schlechte Figur hätte, wenn sie ein paar Zentimeter größer wäre. So aber wirkt sie etwas
     gedrungen und erscheint |218| neben Kristin wie deren Gegenteil: dunkel, klein, nicht wirklich schlank.
    Hank bleibt neben einem alten Toyota stehen. Ein paar Meter daneben ist der Buick geparkt, der nicht mehr so frisch aussieht
     wie vor ein paar Tagen in New York. Auf dem Lack hat sich feiner Staub abgesetzt, der den Glanz schluckt, und das Schwarz
     der Reifen ist grau geworden. Die Scheiben hat Jan ein paarmal an Tankstellen geputzt, aber an den Rändern sind Wasserflecken
     eingetrocknet, die abends die Sonnenstrahlen zerstäuben. Auch der taubenblaue Teppich ist deutlich angegraut, und hier und
     da liegen auf dem Boden Papier- und Zellophanschnipsel von aufgerissenen und längst weggeworfenen Verpackungen herum. Jan
     startet den Motor und justiert den Rückspiegel neu. Hank und Ariel warten und fahren voraus in das wellenlos in der Sonne
     flimmernde Grasmeer.
    Eine Stunde später rollen sie hintereinander durch Rapid City, das auf Jan den Eindruck macht, alles andere als schnell zu
     sein. Es herrscht keine Hektik zwischen den ein- oder zweigeschossigen schmucklosen Häusern entlang der Hauptstraße, Hank
     hält sich an die innerörtliche Geschwindigkeitsbegrenzung.
Village Speed Limit 25 mph.
Der Berufs- und Einkaufsverkehr fließt geruhsam vorbei an den Fronten der Drugstores und Schuhläden, der Bekleidungsgeschäfte
     und Bankfilialen, die aufgereiht wie unterschiedliche Waschmittelkartons in einem Supermarktregal die Straße säumen: alle
     gleich und doch irgendwie anders. An einer Ampel bemerkt Jan eine Schaufensterreklame:
Authorized Miele Dealer. Singer Vacuum Cleaners authorized warranty Dealer.
Im Fenster daneben stehen die zugehörigen Geräte, Nähmaschine, Staubsauger, Bügeleisen, Waschmaschine. Jan wird bewußt, daß
     er innerhalb weniger Tage Deutschland vergessen hat.
    |219| Nachdem sie die Stadt verlassen haben, führt die Straße sanft bergauf, vorbei an Nadelbäumen, die nach und nach zu einem Wald
     werden. Nach einer Kurve scheint die Sonne von vorne in den Wagen, und Jan hält die Hand vor die Augen, um etwas erkennen
     zu können: die Stoßstange des Toyota, die nächste Kurve. Er findet es angenehm, daß die Fahrt erstmalig eine Richtung, ein
     Ziel hat.
     
    Es gibt zwei Möglichkeiten, zu Land zu kommen: Entweder man kauft es, oder man verjagt oder tötet die, die darauf leben. Bei
     der Besiedlung Amerikas durch Europäer wurde der zweite Weg gewählt, lediglich hin und wieder kam es zu Verträgen, die allerdings
     nur so lange Gültigkeit hatten, bis sich die Interessen der Europäer änderten. Genaugenommen war jeder Vertragsabschluß an
     sich bereits ein Sieg, weil die Amerikaner mit dem Vertragswesen die Spielregeln der Europäer grundsätzlich akzeptierten und
     ihre mythischen Vorstellungen vom Boden als lebensspendendem Urgrund preisgaben.
    Die Sioux betrachteten die Black Hills, in denen sie die Winterzeit verbrachten, als heiliges Land, und da die Regierung der
     Vereinigten Staaten seinerzeit, vor gut hundert Jahren, kein Interesse an den Black Hills hatte, überließ sie den Sioux per
     Vertrag ihr heiliges Land für immer und ewig. Kurz danach wurde in den Bergen Gold gefunden, woraufhin sich niemand mehr um
     den Vertrag scherte.
    Hundert Jahre sind keine lange Zeit – gerade zweimal der Abstand vom Zweiten Weltkrieg, und das wiederum ist eine Spanne,
     die sich in einem Leben noch gut überschauen läßt. Macht man sich das klar, ist es um so merkwürdiger, mit dem Auto durch
     die Black Hills zu fahren, vorbei an den Nadelbäumen zu beiden Seiten, als sei man innerhalb einer knappen Stunde von der
     amerikanischen |220| Savanne mitten in den Schwarzwald geraten. Gelegentlich stehen am Straßenrand Briefkästen wie kleine, auf Pfeiler montierte
     Hundehütten, und das Blau des Himmels liegt über den schwarzen Silhouetten der Bäume, durch deren Spitzen die Sonne unregelmäßig
     in den Wagen blitzt, als

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