Amerikanische Reise
zerplatzten goldene Leuchtbällchen auf der Frontscheibe.
Die Vorstellung, daß dort, wo man in sanften Bögen auf einem glatten Asphaltband mit gelben Seitenmarkierungen vorwärts gleitet,
vor hundert Jahren noch Menschen auf dem Kriegspfad waren, daß dort, wo ein kleines Fast-Food-Restaurant mit einer frisch
gestrichenen Holzfront auf Kundschaft wartet, damals noch Zelte aufgeschlagen und Büffel geröstet wurden, ist irritierend.
Wenn man durch Berlin geht, sieht man den Krieg noch – auch im Westen der Stadt hat man ihn immer gesehen, und es ist sogar
wahrscheinlich, daß man ihn in noch einmal fünfzig Jahren immer noch sehen wird. Aber hier, in den heiligen Bergen, ist nichts
zu sehen. Alles ist so, als wäre es schon immer so gewesen, als hätte es die Schlachten um das Land nie gegeben. Und man hat
den Eindruck, daß auch die Leute, die hier leben, glauben, es sei schon immer so gewesen.
Und mitten im heiligen Land der Sioux haben die Eroberer ihr Nationaldenkmal errichtet, das George Bush 1991 offiziell für
vollendet erklärt hat: die in den Fels gesprengten Präsidentengesichter Washingtons, Jeffersons, Roosevelts und Lincolns,
die alle sonstwohin schauen, nur nicht auf das Volk zu ihren Füßen. Am ehesten scheint noch Abraham Lincoln den Blick auf
die Erde zu richten, während sich die drei anderen zum Himmel hin orientieren. George Washington ist ganz aus dem Fels befreit,
hat sogar einen Rockkragen, während es aussieht, als hinge |221| Lincoln noch fest im Stein – man hat den Eindruck, als sei von links nach rechts das Geld ausgegangen.
Auf der Geröllawine unter Roosevelt und Lincoln wurzeln bereits wieder Bäume und wachsen dem Monument entgegen – der Zerfall
kann beginnen, und in zweieinhalbtausend Jahren wird alles so aussehen wie auf der Akropolis in Athen: die Präsidenten als
Reste eines einstmals großen Reiches. Die Indianer vergessen. Wer war in Griechenland, bevor die Griechen kamen? Irgend jemand
wird wohl da gewesen sein.
Spurlos sind die Indianer nicht verschwunden. Im
visitors center,
einem flachen Bau, den man durchqueren muß, um auf die Aussichtsplattform mit dem Blick auf die Präsidentengesichter zu gelangen,
beherrscht ihre Welt die Souvenirstände: Bilder aus verschiedenfarbigem, mit einer Art Lack fixiertem Sand neben Chamoix-Fotografien
von Sitting Bull, Tontassen mit einfachen, aus Karos und Streifen gebildeten geometrischen Ornamenten und Federschmuck, Halsbänder,
Armreife und Mokkasins, als hätten die Sioux den ganzen Tag über nichts Besseres zu tun gehabt, als Ringe zu schmieden, Leder
zu besticken und Federn zu färben. Der einstige Feind, besiegt und gedemütigt, ist zum verklärt in die Ferne blickenden, edelgesichtigen
roten Mann geworden, in dessen Hintergrund die Sonne untergeht und noch friedlich der Büffel grast.
Auf dem Weg zu den Präsidenten werden sie von einer Herde grasender Büffel aufgehalten. Ariel steigt aus dem Toyota und schießt
Fotos. Jan gesellt sich zu ihr. Die Bisons fressen bewegungslos vor sich hin. Die massigen Vorderkörper wirken im Vergleich
zu ihrem schmalen Becken und den Hinterbeinen unproportioniert, als hätte man das |222| Brustvolumen einer Milchkuh verdoppelt und ihr ein Bärenfell übergeworfen.
Jan hat nie ein besonderes Verhältnis zu Tieren entwickelt, die seiner Meinung nach ins Fernsehen gehören, wo sich darüber
staunen läßt, was die Evolution alles hervorgezaubert hat. Ob Pinguine, die bäuchlings ins Wasser schlittern, oder Fledermäuse,
die kopfüber an Höhlenwänden hängen, oder irgendwelche Lemuren, die über den Boden hüpfen, als seien ihre Knochen nicht mit
Gelenken, sondern mit Gummibändern verbunden – im Fernsehen geben alle Tiere ihr Bestes. Ariel setzt ihre Kamera ab.
»Wußtest du, daß es Fische gibt, die aussehen wie Schokoriegel?« sagt Jan.
Ariel lacht. Jan dreht sich zu den beiden Wagen. Hank und Kristin sitzen auf der Stoßstange des Toyota und unterhalten sich.
Zwanzig Meter vor ihnen steht ein Büffel auf der Straße und gafft sie an.
»Wieso verreist Kristin nicht mit ihrem Mann?« fragt Ariel.
»Er kommt von seiner Arbeit nicht los«, sagt Jan.
Ariel nickt. »Oh, ich verstehe.« Sie lehnt sich an einen Zaunpfahl.
Der Büffel auf der Straße trottet weiter und gibt den Weg frei. Alle Tiere kommen Jan wie aus irgendeinem Erdmittelalter vor,
als die Natur noch machte, was sie wollte.
»Und du bist nicht verheiratet?« fragt
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