Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost
gebrochen ist. Meine Hände zittern vor Kälte, und ich kann meine Finger nicht mehr spüren. Aus einer Öffnung über mir stürzt Wasser herab. Ich muss hier raus.
Ich versuche zu bestimmen, wo ich mich ungefähr befinde und wie weit die Dolphin Mansions entfernt sind. Ich kann meine Uhr nicht erkennen, deshalb weiß ich nicht, wie lange ich schon hier unten bin. Der Sims war so schmal, dass ich nur langsam vorangekommen bin, vielleicht nur ein paar hundert Meter weit. Ich habe Verkehrslärm gehört. Ich muss unter einer Straße durchgekommen sein. Ich spitze erneut die Ohren. Statt eines fernen Rumpelns spüre ich einen leichten Lufthauch an der Wange.
Ich richte mich zu hastig auf und stoße mir den Kopf an der Decke. Das sollte ich lieber lassen. Ich gehe in die Hocke und taste mit ausgestreckten Armen und offenen Handflächen an den Wänden entlang wie ein Blinder in einem Labyrinth. Mein Verstand will mir offenbar Streiche spielen, denn entweder verschwindet der Lufthauch ganz, oder er scheint mit einem Mal aus der entgegengesetzten Richtung zu wehen.
Ich spüre, wie brennende Verzweiflung in mir aufsteigt. Vielleicht sollte ich umkehren. In der Dunkelheit könnte ich leicht in einen Schacht stürzen und nie wieder herauskommen.
Plötzlich scheint vor mir ein schwacher Lichtstrahl auf, ein gespenstisches Hologramm in der Mitte des Tunnels. Ich trete hinein und hebe den Kopf. Durch ein rechteckiges Gitter kann ich den Himmel sehen. An den Rändern des Gitters kleben Erdklumpen. Ich sehe Fußballschuhe, Schienbeinschoner und schlammige Knie. Eine Hand voll Schüler und Lehrer verfolgt das Spiel. »Los, vorwärts«, ruft jemand, und ein anderer brüllt: »Abseits!«
In meiner Nähe steht ein einsamer Teenager, der in ein Buch vertieft scheint.
»Hilfe!«
Er sieht sich um.
»Ich bin hier unten!«
Er blickt zu dem Gitter.
»Hilf mir, hier rauszukommen!«
Er sinkt auf die Knie und drückt das Gesicht an die Gitterstäbe.
»Hey! Was machen Sie denn da?«
»Ich bin Polizist.«
Das beantwortet seine Frage nicht wirklich, aber es scheint ihm zu reichen. Er geht einen Lehrer holen.
»Sir, da vorne ist jemand in einem Loch. Ich glaube, er steckt fest.«
Ein neues Gesicht erscheint über dem Gitter, älter und entscheidungsfreudiger.
»Was machen Sie denn da?«
»Ich versuche, hier rauszukommen.«
Weitere Gesichter versammeln sich um den Abfluss. Das Fußballspiel scheint vergessen. Die meisten Spieler drängeln sich, um einen Blick auf »den Typen im Loch« zu erhaschen.
Aus einem Kofferraum wird ein Stemmeisen geholt, die Ränder des Gitters werden von Erde befreit.
Dann wird das Gitter beiseite gerückt, und kräftige Hände greifen in den Schacht. Ich tauche aus der Erde auf und lande auf einem Stück herbstlichen Englands, blinzele in die Sonne und wische mir Abfallreste aus dem Gesicht.
Ich greife in meine durchweichte Hosentasche und ziehe die letzten Morphiumkapseln heraus. Wie durch Zauberhand löst sich der Schmerz, ich werde von einer Welle der Gefühligkeit übermannt. Normalerweise bin ich nicht so dafür, es ist ein Wischiwaschigefühl, feuchte Augen und weich in der Birne, geeignet für postkoitale Glückseligkeit und Jubiläumsfeiern vom Rugbyverein, aber ganz ehrlich, ich liebe diese Jungs. Treten im Trikot ihrer Schule gegen den Ball und sehen so niedlich aus. Sie lassen mich sogar in ihrem Clubhaus duschen, und irgendjemand
leiht mir ein Hemd, eine Trainingshose und Turnschuhe. Ich sehe aus wie ein Rentner beim Powerwalking.
Der Professor wird alarmiert und findet mich im Club. Er behandelt mich sofort wie einen Patienten, nimmt meinen Kopf in die Hände und schiebt meine Augenlider hoch.
»Wie viele haben Sie genommen?«
»Die letzten beiden.«
»Mein Gott.«
»Mir geht es prima. Hören Sie, ich war da unten… im Fluss. Wir hätten es schon vor Jahren entdecken müssen.«
»Wovon reden Sie überhaupt?«
»Ich weiß, wie sie aus den Dolphin Mansions weggebracht wurde. Sie ist in einem Loch verschwunden – genau wie Alice im Wunderland.«
Ich weiß, dass ich wirres Zeug rede, aber Joe gibt sich alle Mühe, mich zu verstehen. Schließlich schaffe ich es, ihm die Geschichte zu erzählen, aber er ist nicht aufgeregt, sondern wütend. Er nennt mich dumm, tollkühn, unbesonnen und impulsiv, wobei er jedem Tadel ein »mit Verlaub« vorausschickt. So höflich hat mir noch nie jemand die Leviten gelesen.
Ich blicke auf meine Uhr. Es ist fast elf. Mittags soll ich vor Gericht
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