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Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Titel: Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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Hangs. Luke war zu klein, deshalb musste er mit mir auf dem Schlitten sitzen. Mehrere Höcker auf der Fahrt ließen uns abheben, und immer quiekte er vor Lachen und klammerte sich an meine Knie.
    Am Schluss wurde der Kurs flacher und endete in einem ausgeleierten Maschendrahtzaun, der schon unzählige Male meinen steifen Füßen standgehalten hatte.
    Mein Stiefvater war in die Stadt gefahren, um ein Thermostat
für den Boiler zu kaufen. Daj versuchte, meine Laken dunkler zu färben, um die Spermaflecken zu überdecken. Ich weiß nicht mehr, was ich gemacht habe. Ist das nicht seltsam? An jedes andere Detail kann ich mich so klar erinnern, als wäre es auf einem privaten Super-8-Film festgehalten.
    Abends vor dem Waschen merkten wir, dass er nicht da war. Der Scheinwerfer, mit dem wir den Teich absuchten, wurde von einem Traktorenmotor betrieben, aber das Loch im Eis hatte sich schon wieder geschlossen.
    In jener Nacht lag ich wach und versuchte mit aller Willenskraft, Luke ins Leben zurückzuholen. Ich wollte, dass er in seinem Bett lag, im Schlaf schniefte und zuckte wie ein Hund, der von Flöhen träumt.
    Am nächsten Morgen fand man ihn unter dem Eis. Sein Gesicht war blau, seine Lippen noch blauer. Er trug meine abgelegten Kleider und Schuhe.
    Von meinem Fenster aus sah ich zu, wie sie ihn auf ein Laken legten und ein weiteres unter sein Kinn schoben. Der Leichenwagen hatte schlammbespritzte Kotflügel, die Türen standen offen. Als sie die Trage anhoben, stürmte ich aus der Haustür und schrie, sie sollten meinen Bruder in Ruhe lassen. Mein Stiefvater fing mich am Tor ab. Er hob mich hoch und umarmte mich so fest, dass ich kaum atmen konnte. Sein Gesicht war grau und stoppelig, seine Augen schwammen in Tränen.
    »Er ist fort, Vince.«
    »Ich will ihn wiederhaben.«
    »Wir haben ihn verloren.«
    »Ich will ihn sehen.«
    »Geh wieder rein.«
    »Ich will ihn sehen.«
    Sein Kinn drückte gegen meine Haare. Daj war neben Luke auf die Knie gesunken. Sie schrie, wiegte ihren Oberkörper vor und zurück, wühlte mit den Fingern in seinem Haar herum und küsste seine geschlossenen Lider.

    Von nun an würde sie mich hassen. Das wusste ich. Sie würde mich für immer hassen. Es war meine Schuld. Ich hätte auf ihn aufpassen müssen. Ich hätte ihm helfen sollen, seine Fußballbildchen zu zählen und seine kindischen Spiele zu spielen. Keiner machte mir je einen Vorwurf, keiner außer mir. Es war meine Schuld. Ich war verantwortlich.
    »Wir haben ihn verloren«, hatte mein Stiefvater gesagt.
    Verloren? Man verliert etwas in einer Sofaritze oder durch ein Loch in der Hosentasche; man verliert den Faden oder die Geduld, aber doch kein Kind.
    Ich wische mir die Tränen aus den Augen und sehe den Professor an. Ich habe die ganze Zeit geredet. Warum musste er damit anfangen? Was weiß er über Schuld? Er muss sie nicht jeden Tag im Spiegel anschauen, Stoppel von ihrer eingeseiften Haut kratzen oder sie in den Augen seiner Mutter gespiegelt sehen. Ich habe Daj zur Alkoholikerin gemacht. Sie trank mit den Geistern ihrer toten Familie und mit ihrem toten Sohn. Sie trank, bis ihre Hände zitterten und sie den Glasrand mit Lippenstift verschmierte. Alkoholiker haben keine Beziehungen – sie nehmen Geiseln.
    »Bitte lassen Sie das ruhen«, flüstere ich und will, dass er aufhört.
    Joe klappt das Album zu. »Ihr Gedächtnisverlust ist das Ergebnis eines psychischen Traumas.«
    »Ich wurde angeschossen.«
    »Die Untersuchungen haben keinerlei Anzeichen für Verletzungen, Hämatome oder innere Blutungen ergeben. Sie haben keinen Schlag auf den Kopf bekommen. Sie haben bestimmte Erinnerungen nicht verloren, Sie haben sie verdrängt. Und ich will wissen, warum.«
    »Luke ist vor mehr als vierzig Jahren gestorben.«
    »Aber Sie denken jeden Tag an ihn. Sie fragen sich immer noch, ob Sie ihn hätten retten können, genau wie Sie sich fragen, ob Sie Mickey hätten retten können.«
    Ich antworte nicht. Ich will, dass er aufhört.

    »Es ist, als hätten Sie einen Film im Kopf, stimmt’s? Der immer wieder dieselbe Schleife abspult.«
    »Das reicht.«
    »Sie wollen mit Luke zusammen den vereisten Hügel hinuntersausen, er zwischen Ihren Knien. Sie wollen ihn ganz fest umklammern und Ihre Stiefel in den Boden stemmen, um sicherzugehen, dass der Schlitten rechtzeitig bremst…«
    »Halten Sie den Mund! Halten Sie einfach Ihre verdammte Klappe!«
    Ich bin aufgesprungen und stehe drohend über ihm, einen Finger auf den Punkt zwischen seinen

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