Amnion 2: Verbotenes Wissen
einigen Milliarden Kilometern Schluß gewesen. Wieso hast du auf einmal derartige beschissene Skrupel?«
Da verwandelten Morns Dilemmata sich in eins. In Nicks hitzigem Blick und aus ihrer eigenen Gefährdung ersah sie, auf welche Art sie voneinander abhingen; und im selben Moment fand ihre intuitive Unentschlossenheit ein Ende. In plötzlicher Gewißheit hielt sie Nicks Blick stand, als wäre von ihnen beiden allein er es, der Erfahrung mit Selbstzweifeln gesammelt hatte.
»Ich bin schwanger«, konstatierte sie laut und deutlich. »Ich bekomme einen Jungen. Die Geburt ist ungefähr um die Zeit fällig, wenn du deinen Ponton-Antrieb reparieren lassen willst, und ich will nicht, daß er auf Thanatos Minor geboren wird. Dort befänden wir uns in zu unsicheren Verhältnissen. Er könnte als Druckmittel gegen mich benutzt werden. Jeder von uns zweien könnte mißbraucht werden, um dich unter Druck zu setzen.«
Sie hoffte, daß er ihr Glauben schenkte, von ihr zur Bestätigung dessen, was sie sagte, keine Untersuchung im Krankenrevier forderte. »Nick«, fügte sie in dieser Hoffnung als letztes hinzu, »er ist dein Sohn.«
9
Aus dem Andrucksessel der Hilfssteuerwarten-Kommandokonsole erwiderte Nick Succorso ihren Blick. Er sprach in dem gleichen mörderischen Tonfall, den er gegenüber Orn Vorbuld angeschlagen gehabt hatte.
»Treib ab!«
Morn war darüber froh, daß sie nie den Fehler begangen hatte, etwa zu glauben, ihm könnte ein Kind, selbst wenn es sich um einen Sohn handelte, willkommen sein. Und es freute sie, endlich einen Anlaß zu haben, um ihm zu trotzen. Es begeisterte sie regelrecht, entzückte sie so sehr, daß ihr Herz hüpfte. Im Moment bestand für sie die größte Gefahr nicht etwa darin, doch noch klein beizugeben; vielmehr drohte sie daher, daß sie sich vielleicht zuviel diebisches Vergnügen anmerken ließ.
»Das möchte ich nicht«, sagte sie leise.
»Ich geb keinen Fick im Vakuum drum, was du möchtest«, stellte Nick klar. Sein Grinsen hatte eine absolut nicht geheure Blutdürstigkeit an sich. »Ich habe gesagt, treib ab!«
»Warum?« Morns Frage fiel infolge ihres süßlichfreundlichen Tons beinahe sarkastisch aus. »Wünschst du dir denn keinen Sohn? Der Ruf, der einem nachgeht, ist nur ein Aspekt der Unsterblichkeit. Und er verblaßt nach ’ner Weile. Die Menschen vergessen, was du getan hast. Sie vergessen die Geschichten, die über dich kursieren. Du kannst mehr als das erreichen. Ein Sohn trägt dein Erbgut weiter.«
»Schön. Herrlich. Bei meinem Glück wird der kleine Scheißer später mal ’n Astro-Schnäpper.« Nick hatte Morn seinen Sessel zugedreht; seine Hände umklammerten die konturierten Armlehnen. »Auf einem Raumschiff wie diesem kann man auf gar keinen Fall ein Kind aufziehen. Man muß es füttern, es versorgen. Du würdest dauernd an das Balg denken und könntest deine Arbeit nicht mehr richtig versehen. Er wäre überall im Weg. Wir hätten ihn jahrelang in der Quere. So was ist einfach unmöglich. Ich müßte dich von Bord schicken. Hör her, Morn. Ich sag’s dir bloß noch ein einziges Mal. Ich wünsche, daß du das kleine Miststück abtreibst. Also tu’s!«
Da hatte er es gesagt: Er wünschte. Sein Befehlswort. Wenn man das Wort ›gewünscht‹ hört, stellt man keine Fragen. Dann gibt’s keine Diskussion. Man geht darauf ein. Es belustigte Morn, daß sie ihn dermaßen leicht bis zu diesem Punkt hatte reizen können.
»Nein«, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken.
Nick schnappte nach Luft; er stand vor einem Wutausbruch. Man sah den Pulsschlag in seinen Narben pochen, die so dunkel geworden waren wie die Tiefen seiner Leidenschaft. Er mußte schon Menschen, nur weil sie ihm widersprochen hatten, totgeschlagen haben; dessen war sich Morn sicher.
Aber gleichzeitig fühlte sie sich in der Annahme sicher, daß er sie nicht totschlug. Jetzt noch nicht wenigstens; solange nicht, wie sie ihm so teuer war; nicht solang er ihrer Maskerade glaubte. Morn saß reglos und stumm im Andrucksessel und wartete darauf, daß er nun über sie herfiele; oder sich beherrschte.
Mit einem hörbaren Zittern entließ er den Atem aus der Brust. »Ich will mir ausnahmsweise anhören«, sagte er durch zusammengebissene Zähne, »welche Beweggründe du dafür anzuführen hast.«
Die Zeit für Lügen war da. Dank Morns insgeheimen Frohsinns fielen sie ihr mühelos ein.
»Nick, du weißt genau, was meine Gründe sind. Du mußt mich sie dir nicht erst lang und breit
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