Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
grotesken Perspektivwechsel. Wer sich diese Bilder ansah, mußte auf Anhieb merken, daß etwas nicht stimmte. Aber in Echtzeit beobachtete vorwiegend niemand die Überwachung; allein die Computer sahen alles augenblicklich.
Vermutlich kannten die Computer keinen Unterschied zwischen dem Blickwinkel von Menschen, die saßen oder standen, sich auf dem Fußboden zum Ausruhen langlegten oder tot umfielen. Möglicherweise hatten die Programmierer des Kassierers solche Situationen nicht vorausgesehen. Einige Zeit mochte verstreichen, bis vorjustierte analytische Parameter eine Warnung signalisierten.
Danach kostete zunächst einmal die Sichtung des Bildmaterials ein Weilchen Zeit. Und derjenige, der sie vornahm, bräuchte zuletzt auch noch ein paar Sekunden zum Reagieren.
Kaum daß die Toten reglos auf dem Betonboden lagen und sich um sie eine Blutlache ausbreitete, stand Angus schon vor der Tür, die sie bewacht hatten. Furchtgeschüttelt krallte Taverner sich an seinen Rücken, grub Klauen des Grausens in seine Schultern, während Angus’ Laser das Türschloß abtasteten.
Damit muß Schluß sein.
Ganz als hätte Warden Dios alles im voraus gewußt, alles vorhergeplant, riß Angus die Zellentür auf und sah Davies Hyland schon warten.
Sobald Angus seinen Sohn erblickte, schwante ihm das ganze Ausmaß der Arglist Nick Succorsos.
Eine schockhafte Bestürzung, rasant wie ein elektrischer Schlag, fuhr ihm durch die Nerven. Davon hatte Nick Succorso nichts erwähnt. Und Angus selbst wäre nie im Leben auf diese Idee gekommen. Hätte er überhaupt darüber nachgedacht, wäre für seine Begriffe der Schluß naheliegend gewesen, daß das Balg von Scheißkapitän Schluckorso stammte; er hätte unterstellt, daß Morn durch ihre überschäumende Lust nach Succorso dazu verleitet worden wäre, das Kind zur Welt zu bringen. Denn liebte sie ihn etwa nicht? Hatte nicht ihr ganzer Leib nach ihm gegiert, kaum daß sie sich in Mallorys Bar & Logis zum erstenmal sahen?
Doch aus eben diesem Grund hatte Angus sich gar nicht erst gefragt, wessen Sohn Davies sein mochte. Daß Morn sich an Nick verschleuderte – auf den ersten Blick und ohne Vorbehalte –, hatte ihn tiefer gekränkt, als er eingestand. Darum hatte er seine Überlegungen ausschließlich auf Morn gerichtet; auf die Methode, sie zu retten, indem er sie gegen Davies eintauschte. Allem anderen hatte er seine Gedanken verschlossen.
Aber schon der erste, ein einziger Blick auf den Jungen stellte seine väterliche Herkunft eindeutig und unmißverständlich klar.
Er hatte Morns Augen; sie wiesen die gleiche Farbe auf; in diesen Augen spiegelten sich die gleiche offene Furcht, ihr ganzer Abscheu und all ihre Not wider. Er starrte Angus an, als wäre ihm ein ähnlicher Schreck in die Gliedmaßen gefahren; als hätte ein und derselbe Blitz sie beide getroffen und binnen eines Sekundenbruchteils miteinander verschmolzen. Auch in der Körperhaltung hatte er Ähnlichkeit mit Morn. Selbst in der ärgsten Betroffenheit zeichnete er sich durch vergleichbare Geschmeidigkeit und ähnlichen Anmut aus.
Der gesamte Rest jedoch…
Alles übrige verwies auf Angus. Natürlich war er jünger und schlanker, doch ansonsten war er Angus Thermopyle, wie er leibte und lebte.
Sein Sohn…
Nick Succorso hatte mit voller Absicht, aus reiner Gemeinheit, auf diese schockierende Begegnung hingearbeitet. Und das legte den Verdacht nahe, daß dies nur die erste Überraschung war, noch mehr derartiges drohte.
… eine schwächere Ausgabe seiner selbst…
Wie gelähmt durch völlige Fassungslosigkeit und schreckhafte Erkenntnis, gebannt durch ein Moment unsäglicher Tragik, starrte Angus seinerseits Davies an und konnte sich nicht mehr rühren.
… ein neues Opfer fürs Kinderbett.
»Ach du Scheiße«, krächzte Milos Taverner, als ob er an seiner Entgeisterung erstickte. »Scheiße, Scheiße…! «
Dann verflog der Schock. Eingebungen durchflammten Angus, rasend schnell und hell wie Licht. Unwillkürlich staute sich ein Aufbrüllen in seiner Brust, ein viehisches Röhren der Ratlosigkeit und Empörung.
Davies kam ihm zuvor. Er brach in Geschrei aus, als wäre er mit einem Tranchiermesser aufgeschlitzt worden.
Gleichzeitig schwang er eine Faust wie ein Geschoß auf Angus’ Kopf zu.
Nur Angus’ cyborgische Ausstattung rettete ihn: Mikrosekunden nachdem sein Sohn ins Kreischen verfiel, aktivierte er Codes, die eine andere Art von Störfeld errichteten.
Die Observationsinstallationen an der
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