Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
Stichflammen glommen noch im Dunkel, aber die Gewaltsamkeit der Explosionen und das Vakuum hatten schon den letzten Sauerstoff verzehrt.
Nick war dem Desaster näher als alle anderen: die Stoßwelle hatte ihn der Länge nach auf den Rücken geworfen. Abgesehen vom spürbaren Schrammen des Betons, während er sich zu neuen Formen absenkte, gab es zeitweilig nichts zu hören als sein langgedehntes Geheul.
»Ach, Liete«, seufzte Mikka. Man merkte ihrer Stimme an, daß ihr Tränen in den Augen standen; doch Morn konnte nicht unterscheiden, ob es Tränen der Erleichterung waren oder der Trauer.
»Kommt«, nuschelte Sib, zupfte an Morns Ärmel, faßte Mikka an der Schulter. »Gehen wir an Bord. Wir stehen noch immer vor dem Problem, daß wir irgendwie von hier verduften müssen.«
Endlich erstickte Nicks Geheul und wich völliger Stille.
Statt zum Raumschiff zu eilen, ging Mikka zu ihrem Bruder und schloß ihn überschwenglich in die Arme.
»Sib hat recht.« Vector sprach in kurzen, abgehackten Sätzen, als hätte er Schwierigkeiten mit dem Atmen. »Noch ist die Stiller Horizont im Orbit. Und die Sturmvogel. Und der Kassierer… Höchstwahrscheinlich hat er keine gute Meinung von uns… Wenigstens im Moment nicht. Das wird er uns nicht durchgehen lassen. Bestimmt nicht.«
In Morns Kopf schien Restglut zu schwelen. Sie befürchtete, daß sie, wenn sie sich bewegte, wieder das Gleichgewicht verlöre. Die Käptens Liebchen gab es nicht mehr: von dem Raumschiff, in dem sie sich Nick ausgeliefert, ihre Zonenimplantat-Abhängigkeit vollendet, um das Leben ihres Sohns gerungen hatte, gab es nichts mehr außer Schlacke und ausgeglühtem Metall. Liete Corregio, Pastille, Simper, Alba Parmute, Carmel, Karster, Lind… Zu viele Tote waren es, als daß sie sie jetzt hätte aufzählen können. Endlich sah sie ein, daß alles einen zu hohen Preis hatte. Die schreckliche Vergeudung von Menschenleben, all das Leid mußte ein Ende nehmen.
»Das ist Angus’ Raumschiff«, stellte sie fest, als hauchte sie eine Erinnerung an die Feuersbrunst aus.
»Aber er hat Mikka mit dem Kommando betraut«, entgegnete Sib, als ob sich dadurch alles änderte.
Mikka, dachte Morn. Mikka, nicht Nick. Angus ließ sie Nick kein zweites Mal in die Hände fallen. Noch war er weit genug er selbst, um Nick zu mißtrauen.
Als sie sich umwandte, stand Davies vor ihr.
»Wo ist er?« fragte ihr Sohn. »Kommt er zurück?«
»Ich weiß es nicht.« Wäre sie dazu fähig gewesen, das Auflodern und die Erschütterung des Aufpralls zu vergessen, hätte sie vielleicht geweint. »Er hat mich aus der Zelle geholt.« Ich hatte von ihm eine Waffe erhalten, aber ich habe sie verloren. »Dann ist er irgendwohin verschwunden.«
»Wenn er’s kann, stößt er wieder zu uns.« Mikka sagte es in rauhem Tonfall; ihre Stimme hatte den kehligen Klang eines Stöhnens. Sie ließ von Lumpi ab und schwang sich zu Morn herum. »Er hat mir für seine Rückkehr eine Frist genannt. Ist er bis dahin nicht zurück, sollen wir ohne ihn abfliegen. Kommt!«
Schroff deutete sie auf die Posaune. »Wir wollen mal sehen, ob wir den Kahn in einem Stück halten können, bis die Frist abläuft.«
Morn sah Davies hinter seiner Helmscheibe grimmig nicken. Weil die Polarisierung ihrer eigenen Helmscheibe die Sicht zusätzlich verzerrte, erkannte sie keinen Unterschied zwischen ihm und seinem Vater.
Indem er Lumpi mit sich zog, ging Vector voraus. Sein EA-Anzug verbarg nicht die arthritische Steifheit seiner Bewegungen. Seine Gelenke mußten ihm heftige Schmerzen verursachen, während er an den Haltegriffen am Rumpf der Posaune hinaufkletterte. Als er oben die Rundung des Rumpfs überklomm, folgten Sib und Mikka ihm; als letzte schlossen Morn und Davies sich an.
Aus der Höhe der Luftschleuse hatte Morn einen guten Überblick über das Dockgelände und konnte Nick beobachten.
Er hatte sich wieder aufgerappelt, dem verkohlten Wrack seines Raumschiffs den Rücken zugekehrt. Allein überquerte er den aufgesprungenen Beton und kam auf die Posaune zu, wirkte dabei irgendwie unbeholfen. Jeder seiner Schritte fiel langsam aus – sogar aus dieser Entfernung erweckte er den Eindruck, als litte er Beschwerden –, aber er näherte sich beharrlich.
»Das ist unsere Chance, um ihn loszuwerden«, sagte Davies laut und deutlich. »Wir können ihn aussperren. Soll der Kassierer sich mit ihm befassen… Falls er ’n Weg hinein findet.«
Ihn aussperren…
Schmerz krampfte Morns Herz zusammen. Genau wie
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