Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
musterte.
Abgesehen von der Zerschlagenheit seiner Gesichtszüge wirkte er, als hätte er keinen ernsten, dauerhaften Schaden genommen. Er war merklich dünner als Angus, sogar magerer als zu dem Zeitpunkt, als die Käptens Liebchen von Station Potential abflog. Seine Haut sah heiß aus, als ob in seinem Leib ein Schwelbrand glömme; von seiner Erscheinung ging eine Anspannung aus, als verströmte er regelrechte Hitze. Doch trotz allem war er im großen und ganzen in körperlich gesunder Verfassung.
Seine Augen verhehlten, was er fühlte. Flüchtig schaute er Morn an, wich jedoch ihrem Blick aus. Möglicherweise ärgerte es ihn, daß Morn es ablehnte, Nick seinem Verhängnis zu überlassen. Oder vielleicht schämte er sich jetzt für seinen Vorschlag, Nick auszusperren.
Oder es mochte sein, daß er sich inzwischen an einiges aus Morns Vergangenheit erinnerte…
Die Vorstellung, er könnte eine Erinnerung daran haben, wie sie Nick sich selbst ausgeliefert hatte, rief auf Morns Haut ein Kribbeln hervor. Diese Scham jedoch fiel geringfügig aus, verglich man sie mit anderen, peinlicheren Gründen zur Scham. Vielleicht entsann er sich, wie sie von Angus vergewaltigt und mißhandelt worden war; oder an die Weise, wie sie Angus das Leben rettete… Oder daran, wie sie den Untergang der Stellar Regent herbeigeführt hatte…
Als Davies sich abwandte und zur Steuerbrücke eilte, wurde Morn zumute, als hätte er ihr die letzten Kräfte ausgesaugt und mit sich fortgerissen. Unvermittelt fühlte sie sich derartig schwach, daß sie beinahe auf das Deck niedersank.
Sie hatte schreckliche Furcht davor gehabt, daß die Methode seiner Geburt und das, was er über sie wußte, ihn in den Wahnsinn treiben könnte; daß nur seine seltsame Gedächtnissperre seinen Geist unversehrt erhielt. Aber er machte, an was er sich auch erinnern mochte, einen durchweg normalen Eindruck. Das hatte er Angus zu verdanken; oder Angus hatte es ihm, wenn man so wollte, rücksichtslos zugemutet.
Davies hatte längst nicht mehr die gleichen Bewußtseinsinhalte wie sie. Inzwischen hatte er das Erbe seines Vaters angetreten.
Er mußte darum gerungen haben.
Plötzlich wünschte sich Morn, daß Angus zurückkehrte, damit sie ihn zwingen oder bitten konnte, ihr zu erzählen, was er mit ihrem Sohn angestellt hatte. Sie stand im Gang, ohne sich zu regen; zu erschöpft und ausgelaugt, um mehr zu leisten, als sich den Raumhelm abzunehmen.
Zu ihrem Glück bemerkte Vector offenbar, in was für einer Verfassung sie sich befand. Sobald er seinen EA-Anzug weggehängt und die Waffen weggestellt hatte, kniete er sich trotz seiner schmerzenden Gelenke hin und öffnete Morns Anzug, schnallte ihr das Gestänge der Lenkdüsen von den Hüften, streifte ihr das widerstandsfähige Material der Kluft über die Stiefel vom Körper.
Mikka hatte ihre Ausrüstung schon fortgeräumt. Einen Moment lang betrachtete sie Morn; dann wandte sie sich an ihren Bruder. Ihre gewohnheitsmäßig düstere Miene hatte sich ihren Gesichtszügen noch tiefer eingefurcht; dagegen schienen Müdigkeit und Sorge jeden Ansatz irgendeines anderen Ausdrucks verdrängt zu haben. »Ciro, schau dich mal nach der Kombüse um«, sagte sie. »An Bord so eines Raumschiffs funktioniert die Essenszubereitung wahrscheinlich wie Zauberei. Kümmere dich um Kaffee, Kakao, Hype, alles was irgendwie aufwärmt. Und was zu essen. Am besten schaffst du alles auf die Brücke.«
Ciro? dachte Morn matt. Nie zuvor hatte sie Lumpis wahren Namen gehört. So wie bei Davies hatte sich auch sein Gesicht verändert, seit sie ihn zuletzt sah: Gefahren und Furcht hatten ihn, wie es schien, um Jahre gealtert. Zum erstenmal war die Ähnlichkeit mit seiner Schwester deutlich zu erkennen.
Er klappte den Mund zum Widerspruch auf, schloß ihn aber sofort wieder, als Mikka ihn an der Schulter sanft anschob. »Gleich wäre gut«, meinte sie leise, als legte sie Wert darauf, Nick nachzuahmen. »Sofort ist besser.«
Ciro senkte den Kopf und entfernte sich gehorsam.
Hinter sich Sib, folgte Mikka anschließend Davies zum Kommandomodul.
Vector schenkte Morn ein schwächliches Lächeln. Anstrengung oder Schmerz erzeugten auf seinem rundlichen Gesicht eine glänzende Schweißschicht. »Ich muß mich«, sagte er, sobald sie beide allein waren, »bei dir entschuldigen.«
Begriffsstutzig zwinkerte Morn ihn an. Mattigkeit und Gedanken an Davies beherrschten ihr Innenleben: ihr war nicht bewußt, wovon er redete.
Er richtete sich von den
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