Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
weder Tod noch künstlich erzeugte Befähigungen oder Abhängigkeit so wichtig waren wie ihr Ringen um das unversehrte Menschsein. Verkörperte Furcht das charakteristische Mysterium des Lebens? Dann sollte Furcht sie leiten. Morn zog sie jeder erdenklichen Art der Kapitulation vor.
Ihr fiebriges Zittern steigerte sich zum Schlottern; Krämpfe schüttelten ihre Muskeln, als hätte die Transformation eingesetzt. Es hätte sein können, daß sie am eigenen CO 2 erstickte. Einen Moment lang empfand sie derartige Furcht, daß sie sich einbildete zu sehen, wie der rote Fleck auf ihrer Haut schwoll wie eine Infektion, als müßte eine Entzündung entstehen und als Beule schließlich platzen, mutagener Eiter aus der Wunde sickern, ihr Fleisch und die DNS zerfressen, bis sie aus ebenso schlichtem wie krassem Selbstabscheu in Zuckungen verfiel und schrie; bis ihr Grauen eine solche Unermeßlichkeit annahm wie die Weite zwischen den Sternen und es aus war mit allem…
Aber der Schüttelfrost verging. Ihr Blickfeld klärte sich, und sie sah die Wahrheit. Die rote Verfärbung rings um die Stelle, wo man das Mutagen injiziert hatte, war im Schwinden begriffen. Ihre Haut war so bleich wie die darunter verborgenen Knochen – und nach wie vor unverändert.
An der Akademie hatte man keinen Zweifel daran gelassen, was von Amnion-Mutagenen zu erwarten stand. Sie sollten schneller wirken, als Morn es jetzt erlebte; genauso schnell wie virulent.
Vielleicht wirkte das Immunitätsserum.
Was hatte Nick ihr darüber erzählt?
Es sichert keine organische Immunität. Das Serum ist mehr wie ’n Gegengift, oder wie ’n Bindemittel. Es neutralisiert Mutagene, bis sie unwirksam geworden sind. Danach werden sie zusammen mit dem Medikament ausgeschieden.
Der Schutz hält ungefähr vier Stunden lang an.
Es konnte sein, daß sie am Leben blieb.
Wenigstens noch für ein Weilchen.
Und es war möglich, daß Kassaforts Amnion-Sektion über keine Ausstattung verfügte, um neue Mutagene zum Kontern des Immunitätsserums zu entwickeln. Es bestand eine gewisse Aussicht, daß ihr dazu Gelegenheit blieb, noch eine Kapsel zu schlucken, bevor die Amnion einen zweiten Versuch durchführten. Falls ihr nicht zeitlich der Überblick abhanden kam. Und wenn sie es so machte, wie Nick verfuhr: eine Kapsel im Mund behielt und sie erst zerbiß, nachdem man ihr die Blutprobe abgenommen hatte. Und falls die Amnion nicht errieten, auf welche Weise sie die Immunität herstellte.
Wenn Morn sich solchen Überlegungen hingab, wetterleuchtete Dopamin-Geflacker durch ihr Blut, als ob winzigkleine Epiphanien sich darin manifestierten: als säte sie Keime der Hoffnung. Unter der Maske rasselte ihr Atem, als stünde sie vor einer Ohnmacht.
Noch ein paar Stunden.
Mehr wünschte sie nicht.
Bitte.
ANGUS
Angus Thermopyles Zunge schmerzte so heftig, wie seine Zonenimplantate es duldeten; der Schmerz hätte viel stärker sein müssen. Kot und Schweiß waren in die Blasen geschmiert. Jeder Atemzug stank; sein ganzer Mund schmeckte nach Asche und Exkrementen.
Während er die Posaune auf Kassafort zusteuerte, lehnte Angus sich gegen die ihm durch die Unifikation aufgezwungene Fragmentierung auf; tat was er konnte, um bei Verstand zu bleiben.
Hashi Lebwohl hatte ihn zu einem Schizophrenen gemacht, einem so mehrfunktionalen Etwas wie das Multi-Task-Programm eines Computers. Was er noch an eigenem Willen übrig hatte, beschäftigte sich mit den Einzelheiten des Anflugs auf Thanatos Minor. Datenspeicher leiteten ihm Informationen zu, ohne zu unterscheiden, ob er sie anforderte oder nicht: Fakten über die Posaune; VMKP-Spekulationen über Kassafort und den Kassierer; Klassifikation der Amnion-Kriegsschiffe; bestehende Verdachtskataloge gegen andere, am Planetoiden auf Reede liegende Illegale; Schilderungen von Fusionsgenerator-Gaus. Gleichzeitig dokumentierten und siebten vorprogrammierte Cyborg-Tools seines Interncomputers alles, was Milos Taverner redete und tat; zeichneten jedes Byte des komplexen Gesamtverhaltens Taverners auf und bemühten sich um die Decodierung.
Diese Abläufe blieben für Angus völlig abstrakt. Er vollzog sie, ohne sich dazu entschließen zu müssen; bisweilen sogar, ohne sie zu verstehen.
Andere Dinge hatten für ihn eine persönlichere Natur.
Vom Scheitel der Schädeldecke bis in die Fußsohlen hinein, mit jedem Quadratzentimeter seiner Haut, spürte er, wie rings um ihn die Posaune von Eigenleben pulsierte: zu allem war sie fähig,
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