Amnion 4: Chaos und Ordnung
geben«, schwafelte Hashi Lebwohl pedantisch, »dann erörtern wir das Wesentliche. Wie Sie wissen, erwähnt Kapitän Scroyle die Sturmvogel, ein Raumschiff, deren Kapitänin eine gewisse Sorus Chatelaine ist. Nach einer Hypothese der Datenverwaltung soll die Sturmvogel in Wirklichkeit ein umgebauter Illegalenraumer mit dem ehemaligen Namen Liquidator sein. Es kann Zufall sein – oder vielleicht nicht –, aber der Liquidator ist vor Jahren Morn Hylands Mutter zum Opfer gefallen. Gleichfalls ist die ursprüngliche Käptens Liebchen von der Liquidator überfallen worden und damals als einziger Überlebender ein junger Bursche namens Nick Succorso an Bord zurückgeblieben.«
Warden verkrampfte die Arme, versank in seine stoische Abwartehaltung. Komm zur Sache, Mann! hätte er am liebsten geschrien. Welche Maßnahmen?
Aber Hashi Lebwohl hörte sich viel zu gerne reden. Er schwadronierte weiter.
»Ein Band des Blutvergießens umschlingt Nick Succorso, Morn Hyland und Sorus Chatelaine. Allerdings kann es der Fall sein, daß das Schicksal dieses Band, so wie das Seil der Nornen, nach verschiedenen Richtungen spannt. Natürlich neigt man als erstes zu der Auffassung, daß Morn Hyland gegen die Besatzung der Sturmvogel beziehungsweise Liquidator einen gehörigen alten Groll hegt. Gleichzeitig ist vorstellbar, daß Sorus Chatelaine damals an Bord der früheren Käptens Liebchen Nick Succorso das Leben geschenkt hat.«
»Was soll an alldem so interessant sein?« brummte Warden ungeduldig. »Mir wird die Zeit knapp. Ich brauche Fakten, keine Spekulationen.«
Ich muß die Wahrheit wissen.
Hashi Lebwohl wedelte mit der Hand, als ließe sich damit jede Art von Dringlichkeit abtun. »Das sehe ich vollauf ein, Polizeipräsident Dios.« Jetzt verwies seine Aura auf mehr als Stolz: auf Selbstgerechtigkeit, Rechthaberei. »Bedenken Sie dabei bitte: Morn Hyland und Nick Succorso sind geradezu naturgemäß verfeindet, und wenn aus keinem anderen Grund, daß er das Zonenimplantat-Kontrollgerät gegen sie benutzt haben muß. Da er nun einmal Nick Succorso ist, kann man von ihm kaum etwas anderes erwarten. Er und Sorus Chatelaine hingegen sind vielleicht Verbündete. Wieso sollte jemand wie Nick Succorso das Risiko eines Besuchs auf Station Potential riskieren, nur damit seine geborene Gegenspielerin auch noch einen Sohn bekommen kann? Und weshalb sollten auf Thanatos Minor um eine eventuelle Bundesgenossin Succorsos Gerüchte über ein Antimutagen-Serum kursieren? Kurzum, ich habe mir folgendes Szenario konzipiert…«
Gegen den Druck der Arme auf seiner Brust nahm Warden Dios einen ergiebigen Atemzug.
»Nick Succorso und Sorus Chatelaine haben beschlossen, unermeßlich reich zu werden.« Hashi Lebwohl sprach mit in den Nacken gelehntem Kopf, als referierte er der Zimmerdecke. Trotz der Zerstreutheit seines Gebarens hörte man ihm beinahe Selbstgefälligkeit an. »Zur gleichen Zeit faßten sie den Vorsatz, uns zu bestrafen, weil wir Succorso, als er Beistand verlangte, keine Unterstützung erwiesen haben. Morn Hyland ist aufgrund einer Übereinkunft mit den Amnion nach Station Potential gebracht und dort in einen gegen uns gerichteten, genetischen Kaze verwandelt worden.«
Dank purer Willenskraft enthielt Warden sich jeder Reaktion. Doch durch seinen Kopf spukten gräßliche Bilder aller Art. Gänzlich autonom, unabhängig von allem Willen, trieb sein Körper ihm Schweiß auf die Stirn; ihm war zumute, als ob er Blut schwitzte. Ein genetischer Kaze? Eine fürchterliche Vorstellung, die jeden Menschen außer Hashi Lebwohl tatsächlich in äußerstes Grauen stürzen müßte, in tiefste Furcht. Und die Möglichkeit konnte nicht geleugnet werden. Warden Dios hatte nichts geplant, keine Vorkehrungen getroffen, um gegen so etwas vorzubeugen. Und solang Angus Thermopyle keine Anzeichen einer genetischen Modifikation bei Morn Hyland erkannte, sah er keinen Anlaß, um sie nicht in seinem Umkreis zu dulden.
Gütiger Himmel, so eine Schweinerei hätte Erfolgsaussichten! Verrat wäre dafür eine zu schwache Bezeichnung. Falls Lebwohls These einer Kumpanei zwischen Nick Succorso und Sorus Chatelaine stimmte, fehlte Warden jedes Argument gegen die Interpretationen des DA-Direktors.
Ach, Morn! Was habe ich dir nur angetan?
Aber Hashi Lebwohl war noch nicht am Schluß seiner Darlegungen. »Die gesamte anschließende Streitigkeit zwischen Nick Succorso und den Amnion war nichts als eine einzige Vorspiegelung«, behauptete er, den Blick
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