Amnion 4: Chaos und Ordnung
Scheiß daherreden konnte. »Zu der Zeit war’s mir auch egal. Ich hatte an nichts anderem als ’m neuen Raumschiff Interesse. Möglichst mit Ponton-Antrieb. Ich kannte Thermogeil, wir hatten schon früher gelegentlich miteinander zu tun. Also habe ich ihm einen Zusammenschluß vorgeschlagen. Während er und Taverner sich in Kassafort aufhielten, habe ich einige meiner Crewmitglieder in ihr Raumschiff gebracht. Dann habe ich die Käptens Liebchen ein Ablenkungsmanöver durchführen lassen, und wir sind mit der Posaune abgehauen.«
An seiner Seite zog Mikka den Kopf ein, als verkniffe sie sich Beschimpfungen. Vector betrachtete Beckmann, als hätte er zu guter Letzt Antworten auf alle seine Fragen gefunden. Mikka hingegen hatte Mühe, die Contenance zu wahren. Nick kannte sie gut, kannte die Anzeichen: die bedrohliche Anwinkelung ihrer Hüfte, die Weise, wie ihre Schultern den Stoff der Bordmontur dehnten. Am liebsten hätte sie ihn jetzt einen Lügner genannt.
Aber er hatte vor ihr keine Furcht, so wenig wie er Sorus Chatelaine noch fürchtete. Aus Rücksichtnahme auf Morn und ihren Bruder mußte sie den Mund halten. »Leider sind Thermogeil und Taverner auf Kassafort zurückgeblieben«, behauptete Nick ohne eine Spur des Bedauerns. Er bleckte die Zähne. Deaner Beckmann mochte aus Interesse an seinen Forschungen Illegaler sein, nicht aus Raffgier; trotzdem war er ein Illegaler. Er konnte unmöglich Erschrecken über das heucheln, was getan zu haben Nick andeutete. »Wahrscheinlich hätte das für sie keine schlimmen Folgen gehabt, nur hat dummerweise irgend jemand Kassaforts Fusionsgenerator sabotiert. Ich erachte es ohne weiteres als denkbar, daß sie selbst es gewesen sind. Ich habe keine Fragen gestellt, ich wollte nur das Raumschiff. Und ich hab’s mir gerade noch rechtzeitig geschnappt. Wir sind wenige Sekunden vor der Stoßwelle gestartet. Sobald wir uns abgesetzt hatten, haben wir Kurs aufs Massif-System genommen.«
Retledges Miene hatte sich nicht verändert. Im ersten Moment, nachdem Nick verstummte, ließ keiner von Beckmanns Untergebenen sich eine Reaktion anmerken.
»Wie interessant«, brummte schließlich der Werkschutzchef.
»Ich habe schon immer gesagt…«, fing Dr. Beckmann an.
Retledge fiel ihm ins Wort. »Eine schöne Geschichte, Kapitän Succorso, bloß gibt sie uns wenig Anlaß, um Ihnen Vertrauen zu schenken.«
»Das ist mir klar«, entgegnete Nick. »Aber sie bietet Ihnen ’n Grund, um das Risiko einzugehen. Wie schon erwähnt.«
Er wandte sich wieder an den Laboratoriumsdirektor. »Dr. Beckmann, ich möchte nicht mehr als nur die Erlaubnis, daß Vector für kurze Zeit in einem Ihrer Genetiklabors arbeiten darf. Und ein paar Vorräte, die ich bezahlen kann, falls die Risiken, die ich hingenommen habe, sich auszahlen. Habe ich erzählt, daß ich auf Station Potential etwas habe mitgehen lassen?« Er stellte die Frage, als wäre dieser Sachverhalt unklar geblieben. »Daß es sehr kostbar ist? Sonst hätten die Amnion wohl kaum einen derartigen Aufwand betrieben, um’s zurückzuholen. Wenn Sie Vector gestatten, es zu analysieren« – wohlüberlegt setzte er das Versprechen an den Schluß seiner Äußerungen –, »können Sie an den Resultaten partizipieren.«
Dr. Beckmann hatte sich gegen die Unterbrechung durch Retledge nicht verwahrt. Andererseits ließ er sich offenbar nicht beirren.
»Ich habe schon immer gesagt«, wiederholte er, »daß Geld ein schäbiger Beweggrund ist, um irgend etwas anzupacken. Klägliches Streben führt zu kläglichen Ergebnissen.« Im Hintergrund seiner Stimme klang ein Unterton hingebungsvoller Besessenheit an, die sich nicht von leidenschaftlicher Wildheit unterscheiden mochte. »Träumten Menschen nie von Höherem als Geld, wären sie der Rettung nicht wert.«
Anscheinend glaubte er ernstlich, er und sein Laboratorium wirkten für so etwas wie die ›Rettung der Menschheit‹. Vielleicht war er längst nicht mehr bei Trost.
»Aber mit Geld kann man…«, setzte Nick an.
»Entschuldigung«, mischte sich unerwartet eine der Frauen ein. »Dr. Shaheed?«
Vector drehte ihr den Kopf zu, schenkte ihr sein wohlwollendes Lächeln. »Ja?«
»Dr. Shaheed…« Die Frau sprach mit trockener Kehle; wie jemand, der nur widerwillig Aufmerksamkeit auf sich zog. »Ich habe den Mann gekannt, der bei Ihnen an den Computern tätig gewesen ist. Bei Intertech.«
Zum erstenmal musterte Nick sie genauer. Sie war ein kleinwüchsiges Geschöpf mit mißlungener Frisur
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