Amnion 4: Chaos und Ordnung
nutze sie.« Sie wälzte sich so behutsam von Nick, als könnte ihre Erleichterung nicht von Dauer sein.
Sofort ging Sib an die Arbeit. Er fesselte Nick sorgfältig die Hände auf den Rücken, wickelte ihm etliche Meter Isolierband um Oberkörper und -arme; danach verschnürte er auch die Füße und ließ dabei nur Spielraum für kleine Schrittchen. Zum Schluß verband er Fuß- und Handfesseln miteinander, damit Nick nicht springen oder treten konnte.
Voller grimmiger Beifälligkeit schaute Davies zu. »Behalte die Rolle griffbereit«, empfahl er, als Sib fertig wurde. »Falls er noch immer ’ne große Fresse riskiert, kleb’se ihm zu.«
Sib nickte. Ob auch er sich erleichtert fühlte, war ihm nicht anzusehen.
Durch einen tiefen Seufzer entledigte Morn sich eines Teils ihrer Furcht. Ihre Augen begegneten Davies’ Blick stummer Fragestellung; sie nickte zum Zeichen der Zustimmung.
Er aktivierte den Interkom-Apparat und kontaktierte die Brücke.
»Angus? Wir haben ihn erwischt.« Er schwieg kurz, überlegte wohl, wieviel er seinem Vater mitteilen sollte. »Wir haben ihn«, wiederholte er dann lediglich. Er sah hinüber zu Vector, um dessen Einwilligung einzuholen, bevor er eine zusätzliche Information hinzufügte. »Vector ist gelungen, was er sich vorgenommen hatte.«
Mit dem Zeigefinger tippte Vector gegen die eigene Schläfe. »Ich hab alles im Kopf«, sagte er so laut, daß auch Angus es hören mußte. »Wäre die Möglichkeit vorhanden, könnte ich umgehend mit der Massenproduktion anfangen.« Seine Miene zeigte ein wahrhaft strahlendes Lächeln.
»Ich hab’s fast geschafft«, antwortete Angus nach kurzem Schweigen. Harte Anstrengung ließ sich seiner Stimme anmerken. »Kommt rauf.«
Davies drehte sich Morn zu. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Unversehens wirkte er unglaublich jung, viel jünger als sein Vater – Jahrzehnte jünger, als sich Morn fühlte. Fünkchen tanzten in seinen Augen, so daß sie lebhaft glitzerten. »Worauf warten wir? Los doch, wir gehen.«
Morn schüttelte den Kopf. In ihrer Erleichterung, beeinträchtigt durch Entzugserscheinungen und neue Erwägungen, mischte sich Bitternis. Wieder glühten ihr die Nervenstränge. Und die Pein nahm zu: organisches Adrenalin konnte die Gier nach künstlicher Stimulation nicht stillen. Nick verkörperte nur einen der Dämonen, die ihr Leben heimgesucht hatten. Noch plagten andere sie, wollten sich nicht vertreiben lassen. »Erst müssen wir uns beraten.«
Alles was sie und ihre Leidensgefährten taten, hatte eine viel zu immense Tragweite, um unüberlegt angepackt werden zu dürfen.
»Wir haben Nick unschädlich gemacht. Das ist ein Schritt vorwärts. Aber deshalb sollten wir nicht unvorsichtig sein.«
Vergessen wir nicht, was auf dem Spiel steht. Oder daß alles an seidenem Faden hängt.
Angus Vertrauen zu schenken fiel schwer.
»Das ist auch meine Ansicht«, unterstützte Vector sie sofort. »Davies, ich bitte dich, mich nicht mißzuverstehen. Ich bin dermaßen froh, daß ich kaum klar denken kann. Aber ich möchte wissen, wie ihr trotz Angus so ein Ding drehen konntet. Ich hatte den Eindruck, Nick hätte ihn…« Vergeblich suchte der Genetiker nach passenden Worten. »Ich dachte, er stünde fest unter Nicks Befehlsgewalt. Was habt ihr gegen Angus unternommen?«
Morn mochte sich jetzt mit dieser Frage nicht aufhalten. »Das ist leichter zu erklären, wenn du ihn siehst. Davies und ich brauchen sofort einige Informationen.« Die Angus für den Fall, daß er zu uns unaufrichtig ist, lieber nicht erfahren sollte. »Zuerst einmal… Mikka hat erwähnt, Nick und Beckmann hätten ›gefeilscht‹. Was hat Nick gefordert?«
Sib wollte es Vector überlassen, darauf zu antworten, doch der Genetiker winkte ab.
»Als wir das Schwarzlabor betreten haben«, erzählte Sib, »schwafelte Nick davon, daß wir Vorräte und anderes Material brauchten. Das war völliger Unsinn, aber wohl sowieso bloß vorgeschoben. Kaum war Vector mit der Analyse fertig, hat Nick Beckmann mitgeteilt, er hätte sich’s anders überlegt. Daß er was anderes wünschte. Er hat Dr. Beckmann die Formel verraten und ihm zum Beweis für ihre Richtigkeit ein paar Antimutagen-Kapseln ausgehändigt.«
Stumm nickte Vector. Wortlos hielt er Nicks Fläschchen in die Höhe. Darin befanden sich nur noch fünf oder sechs Kapseln.
»Wir haben Starterlaubnis bekommen«, sagte Sib. »Und das hier…« Er beugte sich über Nick, wühlte in seinen Taschen und brachte
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