Amnion 4: Chaos und Ordnung
ergibt.«
Angus’ Programmierung hinderte ihn an Nicks Ermordung. Allerdings gestand sie ihm einen gewissen Spielraum zu. Geschmeidig und blitzartig wie eine Schlange langte er zu, packte Nick am Brustteil der Bordmontur, verdrehte den Stoff zu einem Knäuel. Indem er sein Körpergewicht verlagerte, hob er Nick in die Höhe.
Die Augen geschlossen, den Hals schlaff, baumelte Nick in Angus’ Griff. Langsam drosselte der Druck des Stoffknäuels an seiner Kehle ihm die Luft ab; trotzdem leistete er keinen Widerstand. Blut stieg ihm ins Gesicht, es schwoll an; reflexmäßige Spasmen der Atemnot durchzuckten seine Arme. Dennoch rührte er keinen Finger, um sich zu wehren.
Gut. Die Desaster, von denen Nick ereilt worden war, seit er Morn an Bord seines Raumschiffs geholt hatte, mochten ihn um den Verstand gebracht haben, doch anscheinend war er noch lernfähig; vorausgesetzt man erteilte ihm hinlänglich eindringliche und spürbare Lektionen.
»Können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen«, knirschte Angus in der grobschlächtigsten Art und Weise, »warum ich Ihnen etwas erklären müßte? Weshalb ich Ihnen außer dem, das Sie tun sollen, wenn ich was von Ihnen getan haben will, irgend etwas sagen sollte?«
Nick röchelte nach Atem und schüttelte den Kopf. Nein, antwortete lautlos sein Mund. »So gefällt’s mir schon besser.«
Mit einem stummen Fluch des Bedauerns lockerte Angus die Faust und ließ Nick aufs Deck krachen. Nachdem er mit einem heiseren Ächzen nach Luft geschnappt hatte, streckte Nick sich aus und blieb reglos liegen.
Unvermittelt verfiel Angus’ Herz ins Rasen, ihm stockte selbst der Atem in der Gurgel. Das Fenster in seinem Kopf wirkte jetzt direkt auf seine Sehnerven ein, projizierte Warnungen in sein Blickfeld, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sein Schädel war schwer verletzt. Hätten die Zonenimplantate ihn den Schmerz spüren lassen, wäre er von der Pein überwältigt worden, als würfe ihn eine Flutwelle nieder. Er mußte das Krankenrevier aufsuchen.
Angus rang eine Aufwallung der Panik nieder und kehrte an die Kommandokonsole zurück.
Zum Glück gewährleistete der Interncomputer ihm eine sichere Hand, so wie er nach außen hin ein unauffälliges Gebaren bewahrte. Rasch tippte er einige Codes ein, um die Interkom-Apparate der Posaune zu reaktivieren; danach legte er den Schalter der Rundrufverbindung zu sämtlichen Kabinen um. Er hatte keine Ahnung, wer welche Kabine bewohnte, und es war ihm gleichgültig; es hatte keinerlei Belang.
»Achtung, alles herhören«, sagte er derb. »Für ungefähr die nächsten acht Stunden sind wir hier höchstwahrscheinlich so weit außer Gefahr, wie man es in Anbetracht der Umstände erwarten kann. Mikka und Davies, ich wünsche, daß ihr auf die Brücke kommt und Nick im Auge behaltet. Er hat eben versucht, mich totzuschlagen. Hätte er die Sache nicht verpfuscht, wärt ihr jetzt alle so gut wie tot.«
Warum verschnürte und knebelte er den Dreckskerl nicht und sperrte ihn in eine Kabine? Weil seine Programmierung es nicht zuließ. Selbst jetzt stand Nick Succorso noch unter dem Schutz seiner Kontakte zur VMKP-DA.
»Was alle übrigen anstellen, ist mir gleichgültig«, fügte Angus hinzu. »Ich will bloß für ein Weilchen meine Ruhe.«
Er wollte die Interkom abschalten, aber überlegte es sich anders. »Davies«, sagte er in gemäßigterem Tonfall, »wenn du willst, kannst du Morn wecken. Sonst laß sie schlafen. Ich habe den Eindruck, sie kann’s vertragen.«
Was sie an Bord der Käptens Liebchen durchlitten haben mochte – gar nicht zu denken an jenes in der Amnion-Sektion Kassaforts –, darüber konnte er lediglich Vermutungen anstellen, jedoch war es offenkundig, daß sie mehr als nur Schlaf benötigte, um sich von dem zu erholen, was Nick ihr angetan hatte.
Angus verspürte den Wunsch, daß sie von allem genas. Sie war einmal ganz sein, vollkommen in seiner Macht, allem Gebrauch, Mißbrauch und aller Bewunderung ausgeliefert gewesen, wie ihm gerade der Sinn gestanden hatte. Dadurch war sie zu einem Teil seines Herzens geworden. Erhoffte…
Nein. Unter neuen stummen Flüchen riß er sich zusammen. Hoffnung war gefährlich. Sein Lebtag lang hatte er es gewußt, und nur inmitten der Wirrnis, in die er durch die Unifikation und seinen Spezialauftrag getrieben worden war, hatte er es vergessen können. Doch jetzt war es ihm wieder vollauf klar; er hatte es so deutlich vor Augen wie die Warnmeldungen seines Data-Nukleus. Nick wäre nie
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