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Amnion 4: Chaos und Ordnung

Amnion 4: Chaos und Ordnung

Titel: Amnion 4: Chaos und Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Abhängigkeit befallen, und über die Natur seiner eigenen Abhängigkeiten, sein ontogenetisch angelegter Appetit auf Noradrenalin, Serotonin und Endorphine, der einen gewöhnlichen Menschen womöglich das Leben gekostet hätte, war er sich nicht im klaren. Er konnte nicht aufhören, wie ein VMKP-Leutnant zu denken.
    Du bist Polizist, hatte Morn einmal zu ihm gesagt, um Nick zu beeindrucken. Und ich will künftig auch Polizistin sein. Wir verhalten uns nicht so.
    Er sollte sie auf die Arme nehmen und ins Krankenrevier tragen, dort die cybernetischen Systeme darauf programmieren, die Elektrode aus ihrem Hirn zu entfernen. Anschließend könnte er ihr behilflich sein, die Folgen ihrer Abhängigkeit zu überwinden. Gewiß kannte er sie genau genug, um ihr durch jede, auch eine so schwerwiegende und persönliche Krise helfen zu können. Oder er müßte sie der VMKP übergeben. Bestrafen würde man sie keineswegs; es gälte die Umstände zu berücksichtigen, die zu ihrem Vergehen geführt hatten. Die VMKP könnte ihr die Art von Rehabilitation gewährleisten, die sie benötigte und verdiente.
    Und dann müßte er Angus verhaften. Davies wußte von Nick, daß Angus für die Polizei arbeitete. Lust hat er natürlich keine dazu, aber die Polente hat ihn am Kanthaken. Er erledigt diesen kleinen Auftrag für sie, damit sie ihn nicht henken. Und Angus hatte es zugegeben – zumindest indirekt –, als er einräumte, Milos Taverner, der Mann, der auf der Posaune als Erster Offizier fungiert hatte, sei auch Handlanger der VMKP gewesen.
    Aber dadurch rechtfertigte sich gar nichts. Schon aus dem Grund, daß sie ihm einmal begründen sollten, wieso sie einen Vergewaltiger und Schlächter dazu ausersehen hatten, für sie tätig zu sein, verspürte Davies das Verlangen, Angus der Polizei auszuliefern.
    Aber unablässig zitterten Morns Lippen, als versuchte sie durch einen Schleier aus Träumen und Tränen seinen Namen zu nennen. Die zarten Muskeln rings um ihre geröteten, eingefallenen Augen zuckten, als bewegte sie im Traum nichts als Flehentlichkeit.
    Während Davies sie betrachtete, wurde ihm klar, daß er von alldem, was er tun sollte, nichts tun konnte. Es blieb ihm verwehrt. Nicht weil Angus das Raumschiff unter seiner Fuchtel hatte, von ihm das Leben aller Menschen an Bord abhing, sondern aus gänzlich anderen Gründen.
    Morn war seine Mutter; sie verkörperte den Hort seines Bewußtseins; in seinem Namen hatte sie Qualen durchlitten und Wunder gewirkt. Was ihn anging, hatte sie daher das Recht, selbst über ihr Schicksal zu bestimmen. Und Angus war sein Vater. Angus hatte ihn vor dem Kassierer gerettet, ihn vor Nick beschützt, alles überhaupt mögliche unternommen, um für seine Sicherheit zu sorgen. Ungeachtet dessen, was die Polizei Angus vorwarf oder als was das Gesetz ihn einstufte, er stand in Angus’ Schuld. Unvermutet läutete ein zweites Mal der Interkom-Apparat. »Davies«, meldete sich Mikka mit gepreßter Stimme, »komm doch mal besser her. Du wirst’s nicht glauben, wenn ich’s dir bloß mündlich durchgebe. Du mußt es mit eigenen Augen sehen.«
    Da hatte sie recht, dachte sich Davies, den Blick unverändert auf Morn gesenkt. Er mußte sie und Angus ihre unselige Verstrickung unter sich ausmachen lassen. Er durfte dabei nur Zuschauer sein.
    Eine sonderbare Traurigkeit erfüllte ihn, als er die Taste drückte, die die Emissionen des Z-Implantats abschalteten; doch beirren ließ er sich nicht. Behutsam hob er einen Arm Morns aus dem Anti-G-Kokon. Anscheinend heilten inzwischen die Male an ihrem Unterarm. Als übte sich Davies in Zärtlichkeit, legte er ihr das schwarze Kästchen in die Hand und schob sie zurück unter die Decke. Einen Moment lang schnürte der Gram ihm die Kehle ein; dann schluckte er und stapfte zur Tür.
    »Davies…«
    Sie erwachte schneller, als er es für möglich erachtet hätte. Die Nachwirkungen der Erschöpfung und ausgedehnter Furchtzustände entstellten den Klang seines Namens zu einem Krächzen.
    Voller Kummer und aufgeschreckt durch eine Anwandlung der geistlosen Ängstlichkeit seines Vaters, fuhr Davies zu ihr herum.
    Mit Mühe zwinkerte sie, bis ihr stumpfer Blick etwas erkennen konnte. Langsam zwang sie ihren Mund, Wörter zu bilden. »Wo sind wir?«
    »Keine Ahnung.« Wie ein Kind wäre er nun zu gerne zu ihr gelaufen, um sie zu trösten; um von ihr getröstet zu werden. »Ich will’s gerade feststellen.«
    Morn stemmte sich mit dem Ellbogen hoch, bebte dabei vor Anstrengung.

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