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Amnion 4: Chaos und Ordnung

Amnion 4: Chaos und Ordnung

Titel: Amnion 4: Chaos und Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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schwang sich aus der Koje. Er brauchte Bewegung; mußte frei sein von Hemmnissen. So weit außer Gefahr, wie man es in Anbetracht der Umstände erwarten kann. Wie weit außer Gefahr mochte das sein? Für ungefähr die nächsten acht Stunden. Wo waren sie? Wohin hatte Angus sie befördert? Er hat eben versucht, mich totzuschlagen. Wie sicher konnte man überhaupt sein, solange sich Nick Succorso an Bord befand?
    Doch als er sich umdrehte und sein Blick auf Morn fiel, verhielt er; verharrte er reglos.
    Alle wesentlichen Fragen seines Lebens hatten ihren geballten Ausdruck in ihrem zermarterten Gesicht und erzwungenen Schlummer.
    Sie sah nicht aus, als könnte sie Schlaf ›vertragen‹: Schlaf war etwas zu Zeitweiliges, als daß er hinreichte, um dem Maßstab ihrer Not gerecht zu werden. Sie wirkte, als benötigte sie langfristige Fürsorge von Ärzten und Psychospezialisten, Monate der Ruhe und Erholung.
    Seit er sie in dem amnionischen Entbindungsmilieu, wo er das Licht der Welt erblickte, das erste Mal gesehen hatte, war zuwenig Zeit verstrichen, als daß sie Gelegenheit gehabt hätte, noch erheblich mehr an Gewicht zu verlieren. Trotzdem kam sie ihm jetzt noch hagerer, noch ausgezehrter vor, als zwängen die Strapazen und ihre Zonenimplantat-Abhängigkeit sie, das eigene Fleisch als Brennstoff aufzubrauchen. Die Augen waren tief in den Schädel gesunken; die Augenhöhlen so dunkel wie Wunden. Schmutz und Schmiere verklebten ihr Haar, konnten jedoch mehrere kahle Stellen der Kopfhaut nicht verbergen; sie hätte eine Reihe mißlungener chemotherapeutischer Behandlungen hinter sich haben können. Obwohl sie unter einer warmen, gravofesten Decke lag, zitterten ihre schlaffen Lippen, als fröre sie; oder als genügten die diktatorischen Emissionen des Z-Implantats nicht, um ihr Träume des Grauens und Verderbens zu ersparen.
    Sie war einmal eine schöne Frau gewesen. Jetzt sah sie geisterhaft und verfallen aus, überwältigt von Hinfälligkeit.
    Sie war seine Mutter. Und sie verkörperte buchstäblich alles, was er über sich selbst wußte. Seine Vergangenheit und alle seine Leidenschaften stammten von Morn.
    Ihr Anblick rief ihm in Erinnerung, daß sie jetzt so aussah, weil sie wollte, daß er gelebt hatte; daß sie sich amnionischen Mutagenen und Nicks Brutalität ausgesetzt, mit der ganzen Besatzung der Käptens Liebchen angelegt und die Gefahr, wieder in Angus Thermopyles Gewalt zu gelangen, hingenommen hatte, um sein Leben zu schützen.
    Und er, Davies Hyland, hatte in seinem Besitz das schwarze Kästchen, das über sie alle Macht verlieh.
    Er hatte keine Zeit, um hier herumzustehen, sich die Spuren ihrer Leiden anzuschauen – nicht wenn er Mikka zu helfen beabsichtigte, auf Nick achtzugeben; aber er vermochte, bevor er es hinter sich hatte, nichts anderes anzupacken.
    Von der Kabinentür ertönte ein Geräusch, als schlüge jemand die flache Hand dagegen. »Los, komm, Davies«, erklang Mikka Vasaczks durch Schotts gedämpfte Stimme. »Wenn wir den Kerl nicht zur Räson bringen, irgendwer anderes macht’s bestimmt nicht.«
    Erbitterung und Gluthitze glosten wie eine Feuersbrunst durch Davies’ Brust, bis er Sib Mackerns Stimme hörte.
    »Kümmere dich um Morn, Davies. Ich kann Mikka helfen. Ich habe noch mein Schießeisen.«
    In Davies wallte Erleichterung auf und linderte den Druck. »Ich bin gleich da«, antwortete er; ob Mikka und Sib ihn hören konnten, wußte er nicht. Er nahm das Zonenimplantat-Kontrollgerät zur Hand und wandte sich wieder Morn zu.
    Sie hatte ein Verbrechen begangen.
    Angus trug daran die Schuld. Mühelos entsann Davies sich seiner Gewalttätigkeit und abartigen Lust. Wenn er das Hochkommen der Erinnerungen duldete, flößten sie ihm ein solches Maß tiefsten Widerwillens und Ekels ein, daß er am liebsten gekotzt hätte. Angus hatte Morn die Elektrode in den Schädel gepflanzt und ihre Abhängigkeit verursacht.
    Dann jedoch hatte er ihr das schwarze Kästchen ausgehändigt. Sie hatte sich mit ihm auf einen Handel eingelassen und deshalb von ihm dieses kleine Instrument erhalten, das sie gleichzeitig zu mehr und zu weniger als einem normalen Menschen machte. Anstatt sich um Hilfe an den Sicherheitsdienst der KombiMontan-Station und die VMKP zu wenden, hatte sie, um Angus die Macht über ihre Person abzuringen, ihre Seele verkauft.
    Davies erinnerte sich gut genug daran, was sie empfunden, was sie gedacht hatte, um für ihr Vorgehen Verständnis zu haben. Allerdings war er nicht von ihrer

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