Amnion 4: Chaos und Ordnung
schießen, aber es ist aussichtslos…!«
»Unter Beobachtung halten«, wies Dolph ihn mit vorsätzlicher Nonchalance an. »Wenn Sie ’n Augenblick Zeit finden, überprüfen Sie, was das andere Schiff drüben im Bannkosmos treibt. Und geben Sie auf die Freistaat Eden acht. Ich möchte den Kahn nicht entwischen lassen.«
»Aye, Sir.«
Weil Mins Vehemenz sie ansteckte, flogen Crays Hände nur so über die Tastatur, um die Trichterantennen der Rächer einzuschwenken. Doch schon im folgenden Moment hob sie den Kopf und blickte Min voller Beklommenheit an. »Verpaßt, Sir. Es muß den Funkspruch sofort nach Rücksturz in die Tard abgesetzt haben.«
Es mußte genau gewußt haben, wo sich der Lauschposten befand. Es mußte nach der Maßgabe gehandelt worden sein, daß der Funkspruch wichtiger war als das eigene Überdauern.
»Das Schiff dreht bei!« schrie Porson. »Das ist unmöglich, eine derartige G-Belastung kann kein Mensch überleben! An Bord müssen alle bewußtlos sein. Oder tot. Aber es ist außer Gefahr. Es hat vom Asteroidengürtel abgedreht.«
»Dann holen Sie ihn mir vom Lauschposten«, schnarrte Min. »Es wird wohl nicht jedes Scheißschiff in der gottverdammten Galaxis Codes kennen, die uns den Zugriff verwehren.«
»Aye, Sir.« Schleunigst gehorchte Cray.
Ein Indikator auf einem Sichtschirm ihrer Konsole erregte ihre Beachtung. Sie las Anzeigen ab, drückte hastig Tasten, verifizierte die Daten.
»Sir«, raunte sie Min zu, »das Raumschiff, dieses Schiff, das gerade vorbeigerast ist, es sendet jetzt ein Peilsignal. Ein Gruppe-Eins-VMKP-Peilsignal, ein Notsignal mit höchster Prioritätsstufe, um Anpeilung und Ortung zu ermöglichen. Es ist…«
»Ich weiß Bescheid.« Min hatte ein Gefühl, als hätte ihr Herz das Schlagen eingestellt. »Die Posaune, VMKP-Interspatium-Scout der Kompaktklasse.« Angus Thermopyle lebte noch; er war noch in Aktion. »Mit dem Raumschiff befassen wir uns später. Als erstes will ich den Funkspruch haben.«
Krampfhaft schluckte Cray und ging von neuem an die Arbeit.
»Ich hab ihn, Sir«, meldete sie fünf Sekunden später. Aus Erleichterung machte sie große Augen.
»Kapitän«, stieß Porson aufgeregt hervor, »der Raumer im Bannkosmos hat soeben beschleunigt. Und er ändert den Kurs. Jetzt fliegt er in die gleiche Richtung wie der Interspatium-Scout.«
»Die Posaune«, brummelte Dolph Ubikwe mit beruhigendem Baß. »Direktorin Donner kennt das Schiff. Wie verhält sich die Freistaat Eden?«
» Läßt sich noch immer treiben, Sir. Macht keinerlei Anstalten, um sich uns zu entziehen. Und sie sucht kein Gefecht, die Bordartillerie ist nicht in Feuerbereitschaft.«
Min achtete auf nichts, was rings um sie geschah. Ihr Interesse galt ausschließlich dem Funkspruch der Posaune, als wäre er alles, was noch zählte, als existierte gar nichts anderes. Mit einem Finger wies sie auf einen Kommunikationsbildschirm; mit der anderen Hand drehte sie den Sessel, um über Crays Schulter hinweg den Text lesen zu können. Cray kopierte die Nachricht der Posaune, projizierte sie auf den Monitor, las sie gleichzeitig mit Min.
Min erkannte auf Anhieb, daß es sich um eine für Warden Dios codierte Blitzmeldung handelte.
Nicht für Hashi Lebwohl.
Ganz gleich, was Hashi trieb: Angus Thermopyle schickte seine Meldungen an Warden Dios.
Entschlossen konzentrierte sich Min auf den Text. Mit der Mühelosigkeit langer Übung drang sie durch Codes, Identifikationen, Transmissionsspezifikationen und Transferdaten zu Angus Thermopyles Botschaft vor.
Isaak an Warden Dios, begann die Mitteilung. Persönlich. DRINGEND. Aktion gegen Thanatos Minor erfolgreich beendet. Prioritätscode Gabriel ist aktiviert. Milos Taverner zu den Amnion übergelaufen. Habe Überlebende des Raumschiffs Käptens Liebchen an Bord: Morn Hyland, Davies Hyland, Nick Succorso, Mikka Vasaczk, Ciro Vasaczk, Vector Shaheed. Amnion-Einheiten haben Verfolgung aufgenommen.
Morn? Nur jahrelanges Training und herbe Erfahrungen ermöglichten es Min, sich zu beherrschen, als sie Morns Namen las. Morn lebte!
Es ist so, daß ich Anlaß zu der Annahme habe, Morn Hyland könnte überleben, was ihr zugestoßen ist.
Warden Dios hatte die Wahrheit gesagt. Morn war nicht von ihm im Stich gelassen worden. Er hatte sie Risiken ausgesetzt, ja; ihr Leiden zugemutet. Aber er hatte sie nicht im Stich gelassen. Offenbar war es nie seine Absicht gewesen, sie im Stich zu lassen. Und für diesen Fall möchte ich von jemandem dafür gesorgt
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