Amnion Omnibus
man ihnen Informationen einschrieb. Darum konnten sie – als Permanentspeicher oder sogenannte nichtflüchtige Speicher – ohne ständige Stromversorgung Daten in materiell dauerhafter Form
speichern. Aber wie jeder Chip ließen sie eine elektronische Überarbeitung zu: Sobald man den Rechner, zu dem sie gehörten, wieder
einschaltete, konnte der Zustand der Chips beeinflußt, ihr Dateninhalt modifiziert werden.
Mit der Erfindung des SAS-KMOS-Chips – SAS für Silizium auf Saphir – erfolgte ein Schritt in die Richtung wirklich permanenter Datenspeicherung. Echte Data-Nuklei konnte man jedoch nicht vor der Entwicklung der Silizium-auf-Diamant-Halbleiter fabrizieren. Für die Verwendung in normalen Computern waren SAD-KMOS-Chips zu schwierig bearbeitbar; aber für das Permanentspeichern von Daten in unabänderlicher Form erwiesen sie sich als ideal. Grob ausgedrückt, änderten SAD-Halbleiter ihren Zustand überhaupt nie; sie ergänzten ihn sozusagen nur. Statt Daten im üblichen, binären Start-Stop-Verfahren zu speichern, speicherten sie sie in einer Akkumulation von Start-Stop-Reihen. Daher blieb, wenn man auf die Daten zugriff, der ›Start‹, der dem ›Stop‹ voranschritt, auch fernerhin ersichtlich.
Nicht allein blieben die Daten unabänderbar, sondern überdies wurde jeder Versuch aufgezeichnet, sie umzuschreiben, ohne daß diese Erfassung sich hätte aufheben lassen. Auf gewisse Weise entstand dadurch ein Nur-Schreib-Speicher; zwar konnte man mit den entsprechenden VMKP-Codes den Inhalt lesen, aber ihn niemals überschreiben.
Unweigerlich nahm der Drang zum Chaos an der gesamten Konzeption der Data-Nuklei Anstoß.
Während dieser Periode hatte jedoch noch der Hang zur Ordnung Oberwasser. Die Bedrohung, die vom Bannkosmos ausging, versah ihn mit einer beispiellosen Legitimität. Aus diesem Grund erfolgte im allgemeinen eine Bewilligung der Forderungen der VMK-Polizei, hinter der natürlich die unschätzbare kommerzielle Geltung der Vereinigten Montan-Kombinate stand. Keine auf ökonomisch unsicherem Boden
amtierende Regierung einer genophobischen Spezies konnte sich ihnen verschließen, um so weniger, wenn sie so vernünftig klangen. Per Gesetz mußte jedes Raumschiff der Menschheit einen Data-Nukleus installieren. Mißachtete es das Gesetz, verweigerte man ihm die
Registrierung; das wiederum besagte, es durfte nirgendwo im Human-Kosmos landen oder anlegen.
Vehemente Proteste, die auf Argumenten zugunsten persönlicher Selbstbestimmung und individueller Freiheiten fußten, rangen der Legislative für die letztendliche Fassung des Gesetzes nur zwei Kompromisse ab. Zum einen erhielt die Polizei, da sämtliche Data-Nuklei in ihre Zuständigkeit fielen, die gesetzliche Auflage, sich ausschließlich in Fällen, in denen es plausible Hinweise auf ein stattgefundenes Verbrechen gab, auf einen Data-Nukleus Zugriff verschaffen zu dürfen. Zum zweiten galt, um die Privatsphäre der Normalbürger zu schützen, die Erlaubnis, an Bord jedes Raumschiffs, das nicht im Dienst der VMKP oder eines Sicherheitsdienstes stand, den MediComputer des Krankenreviers vom Data-Nukleus abzukoppeln, also die medizinischen Systeme getrennt zu betreiben. Es mochte den Normalbürgern verwehrt sein, ohne Id-Plaketten zu reisen, von denen jeder VMKP-oder Sicherheitsdienst-Computer ihre persönlichen Daten ablesen konnte; an Einfluß auf diese Datenkompilationen mochte es ihnen fehlen; doch wenigstens sollten sie an Bord von Raumschiffen ihre Schlaflosigkeit medikamentös lindern oder ihre Warzen behandeln können, ohne daß man diesbezügliche Informationen der Polizei zugänglich machte.
Der Drang zum Chaos befürchtete – und äußerte es lautstark –, es sei nur eine Frage der Zeit, bis der Hang zur Ordnung den Raumschiffen Data-Nuklei aufzuzwingen anfänge, die Programme mit der Kapazität enthielten, alle von den Bordcomputern oder dem Kapitän getroffenen Festlegungen kurzerhand korrekturzusteuern – Programme mit der Intention, die Optionen des Raumschiffs zu
begrenzen, seine Handlungsfreiheit zu beschränken. In den meisten Kreisen erachtete man diese Sorge jedoch als wenig fundiert. Wollte die VMKP versuchen, die Herausforderungen im voraus einzuschätzen, denen ein Raumschiff eintausend Lichtjahre von der Erde entfernt begegnen könnte, hieße das nichts anderes, als den Hang zur Ordnung
bis zum selbstmörderischen Extrem zu treiben. Nicht einmal die besorgtesten Nonkonformisten oder die paranoidesten Verfechter
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