Amok: Thriller (German Edition)
Sie schon rein«, sagte sie. »Bringen wir‘s hinter uns.«
Der Killer hatte entweder großes Glück oder gewaltiges Pech. Er konnte sich nicht recht entscheiden, was es war. Ein paar Minuten früher oder später, und alles hätte ganz anders ausgesehen.
Der VW Golf war an ihm vorbeigefahren, als er noch überlegt hatte, wie er vorgehen sollte. Er hatte beobachtet, wie sie vor ihrem Haus angehalten hatten; hatte den Mann aussteigen sehen und begriffen, dass es sich um Craig Walker handeln musste. Er brauchte ein wenig länger, um die Frau zu identifizieren, und im ersten Moment konnte er nicht glauben, dass sie es wirklich war. Er wollte es nicht glauben.
Er saß vollkommen regungslos da und bemühte sich um Fassung. Die beiden prallten entsetzt zurück, als sie den Garten sahen. Als sie wieder in den Wagen stiegen, wagte er zu hoffen, dass er noch einmal Glück gehabt hatte, aber er glaubte nicht so recht daran. So schnell würden sie nicht aufgeben.
Er stieg aus und erkundete die Lage zu Fuß. Bald hatte er den zugewucherten Pfad gefunden, der hinter den Häusern verlief, und tatsächlich konnte er sie hören, wie sie sich durch das Unkraut schlugen. Er zog sich zurück, bis er ganz bestimmt außer Sichtweite war, und ihm wurde bewusst, was für ein Riesenglück er gehabt hatte. Wäre er vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten früher zur Tat geschritten, dann hätten sie niemanden mehr angetroffen, mit dem sie reden konnten.
Andererseits hätte es auch passieren können, dass er ihnen beim Verlassen des Hauses direkt in die Arme gelaufen wäre. Das wäre eine Katastrophe gewesen.
Er ging zum Wagen zurück, ließ den Motor an und bog um die Kurve, um in sicherer Entfernung von dem Golf zu parken. Er wollte sie sehen, wenn sie herauskamen. Vielleicht würde ihre Körpersprache ihm einen Hinweis darauf geben, was sie herausgefunden hatten.
Peggy Forester trat zur Seite, um sie einzulassen, und schloss die Tür hinter ihnen ab. Die Küche war ein kleiner quadratischer Raum mit potthässlichen grünen Schränken, bei denen es sich durchaus noch um die Originale aus den Fünfzigern handeln mochte. Der Bodenbelag war braunes Linoleum, spröde und rissig vom Alter. Auf einem kleinen Resopaltisch, zu dem zwei Stühle gehörten, standen eine Kaffeetasse und eine halbvolle Flasche Billig-Wodka aus dem Supermarkt. Eine zum Aschenbecher umfunktionierte Untertasse quoll über vor Kippen.
Die innere Küchentür war geschlossen, sodass sie vom Rest des Hauses nichts sehen konnten. Julia schauderte. Sie fühlte sich beengt und am Rande der Panik. Der Raum war nicht groß genug für drei erwachsene Menschen, zumal, wenn einer davon nach Alkohol stank und ein Messer in Griffweite hatte.
Doch Craig bewunderte die Einrichtung mit der entspannten Begeisterung eines Immobilienmaklers beim Besichtigungstermin. »Nette Küche«, sagte er ohne eine Spur von Ironie.
Peggy knurrte. »Hier wohn‘ich nun mal.« Dann drehte sie den Kopf zur Seite und murmelte etwas, als spräche sie mit jemandem, der hinter ihr stand.
Julia wechselte einen Blick mit Craig, dessen Augen sich kurz weiteten. Er deutete auf die Stühle, aber Julia schüttelte den Kopf. Sie fühlte sich sicherer im Stehen.
»Setzen Sie sich doch, Peggy«, sagte er, während er auf dem anderen Stuhl Platz nahm. »Ist ja eine üble Schweinerei da vor dem Haus«, fügte er im Plauderton hinzu.
»Ich geh da nie raus«, sagte sie. »Zu gefährlich.«
»Sie fühlen sich nicht sicher?«, fragte Craig.
»Nirgends kann ich mich sicher fühlen. Nur hier. Ich geh nirgends hin.«
Julia musste unwillkürlich zurückweichen, als Peggy die Küche durchquerte. Zum Glück hatte sie das Messer neben der Spüle liegen lassen. Sie goss sich Wodka in die Tasse und kippte ihn schlürfend hinunter.
Craig zog ein Blatt Papier aus der Tasche und strich es auf dem Tisch glatt. Es war eng bedruckt und hatte unten zwei gepunktete Linien für den Unterzeichnenden und einen Zeugen.
»Sie bekommen wohl nicht viel Besuch?«, fragte er.
»Hä?«
»Ich meine, ob Leute zu Ihnen kommen. Carls Freunde zum Beispiel. Besuchen die Sie ab und zu?«
Peggys Augen verengten sich zu hasserfüllten Schlitzen – vielleicht, weil er den Namen ihres Sohnes erwähnt hatte, oder vielleicht, weil sie dahintergekommen war, was Craig da machte. Sie verschränkte die zitternden Hände, und ihr linkes Bein wippte im selben Rhythmus nervös auf und ab.
»Ich hab nie Besuch«, sagte sie. »Was is‘jetzt mit
Weitere Kostenlose Bücher