Amok: Thriller (German Edition)
schätze ich. In Interviews brüstet er sich immer mit seinem Instinkt. Wenn er ein Unternehmen aufkauft, verliert er keine Zeit mit solchen Dingen wie Risikoanalysen, Bilanzen und dem ganzen Papierkram. Er schaut sich die Firma an, redet mit den Mitarbeitern in der Produktion, und wenn er ein gutes Gefühl hat, kauft er den Laden, ganz gleich, was die Zahlen sagen.«
»Und das hat immer funktioniert?«
»In jüngster Zeit nicht mehr so. Es gibt Gerüchte, wonach er sich übernommen hat. Er hat in den letzten Jahren einige Konzernbereiche abgestoßen, hauptsächlich, um das Kerngeschäft zu stärken, aber es gibt Anzeichen dafür, dass das nicht so recht funktioniert hat.«
»Und daher das Bauprojekt?«
Craig nickte. »Zwanzig oder dreißig Millionen mehr auf der Habenseite – ich denke, das würde den finanziellen Druck doch deutlich verringern.«
Julia dachte eine Weile darüber nach. Sie wusste, dass er sich dieselbe Frage stellte wie sie. War Matheson verzweifelt genug, um für diese Summe einen Massenmord in Kauf zu nehmen?
»Was ist mit seiner Frau?«
»Vanessa? Sie sind seit dreißig Jahren verheiratet. Sie stammt aus einer dieser alten Familien, die zwar jede Menge Klasse haben, aber kein Geld. Er war der Junge aus einfachen Verhältnissen, der aus dem Stand ein Vermögen gemacht hatte. Sie verschaffte ihm gesellschaftliches Ansehen und die Kontakte, die er auf dem Weg nach oben brauchte.«
»Klingt nach zweien, die sich gesucht und gefunden haben.«
»Nach allem, was man hört, ist aus der Beziehung so ziemlich die Luft raus«, sagte Craig. »Ob er eine andere hat, weiß ich allerdings nicht.«
»Haben sie Kinder?«
»Nein. Sie haben es jahrelang versucht, das habe ich in irgendeinem Artikel gelesen. Aber es gab da irgendein Problem. Natürlich waren die Behandlungsmethoden gegen Unfruchtbarkeit damals noch nicht so weit entwickelt.«
»Das ist ja traurig.«
Er sah sie scharf an. »Tut er Ihnen etwa leid?«
»In dieser Hinsicht, ja«, entgegnete sie in einem Tonfall, der seinem Blick entsprach. »Wir wissen nicht, ob er irgendetwas Unrechtes getan hat. Also sollten wir ihn nicht vorschnell verurteilen, okay?«
»Na schön«, brummte er. Doch er schien alles andere als überzeugt, und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob es ein Fehler gewesen war, sich in diese Sache hineinziehen zu lassen. Hatte sie wirklich Lust, sich das anzutun?
Ein hohes schmiedeeisernes Tor verwehrte ihnen den Zugang zum Grundstück. Craig hielt an der Gegensprechanlage und drückte auf den Knopf. Nach einigen Sekunden meldete sich eine unwirsche Männerstimme: »Ja?«
»Craig Walker, ich möchte George Matheson sprechen.«
Nach einer Pause klickte es im Lautsprecher, und das Tor ging auf.
»War das ein Dienstbote oder der Hausherr selbst?«, fragte Julia, als sie die geschwungene Auffahrt hinauffuhren.
»Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt Personal hat«, antwortete Craig. »Sie sollen einen eher schlichten Lebensstil pflegen.«
»Tatsächlich?« Schlicht war nicht gerade das Wort, das ihr in den Sinn kam, als sie das Herrenhaus in all seiner weißen Pracht hinter einem Sichtschutz aus makellos beschnittenen Pappeln auftauchen sah.
Craig hörte, wie sie die Luft zwischen den Zähnen einzog, und erklärte: »Die ältesten Teile des Gebäudes stammen aus dem 15. Jahrhundert. Schätzungsweise achtzehn Zimmer, dazu ein Pool, ein Tennisplatz und ein paar Hektar Gartenanlagen.«
Sie parkten neben einer nagelneuen Jaguar-Limousine. Julia schloss ein paar Sekunden lang die Augen und versuchte ihre Nerven zu beruhigen.
Als sie ausstieg, trat George Matheson gerade unter dem von Säulen getragenen Vordach aus dem Haus. Er war größer, als sie vermutet hatte, vielleicht einen Meter achtzig, doch seine Haltung war ein wenig gebeugt. Sein Haar war grau, aber noch dicht, die Augenbrauen buschig, und mit seinen etwas derben Gesichtszügen und dem gesunden, rosigen Teint glich er eher einem ehemaligen Bauarbeiter als einem schwerreichen Unternehmer.
Anfangs konzentrierte sie sich so sehr darauf, in ihrem Gang keine Spur von Beeinträchtigung zu verraten, dass sie Mathesons bestürzten Gesichtsausdruck gar nicht bemerkte. Erst als sie die Stufen erreichte, sah sie, dass er sie anstarrte wie ein Gespenst.
Es sieht aus, als hätte er panische Angst , dachte sie. Aber die Erkenntnis konnte ihre eigene Beklemmung kaum zerstreuen.
»Das ist Julia Trent«, sagte Craig, als er die Stufen erklomm.
»Ja. Ich – ah
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