Amok: Thriller (German Edition)
die ich anrufen will, geht mir aus dem Weg«, erklärte er.
Er ließ sich die Nummer auf seinem eigenen Handy anzeigen und tippte sie in Julias Telefon ein. Während es läutete, sah er sich im Café um. Es war klein und sauber, putzig an der Grenze zum Kitsch, aber exakt im Einklang mit der Umgebung. Und es hatte keine Alkohollizenz, was wahrscheinlich ganz gut war.
Abby meldete sich mit einem unsicheren »Hallo?«
»Du hast nicht auf meine Anrufe reagiert.«
»Craig, es tut mir wirklich leid. Ich wollte nicht -«
»Ich weiß, ich weiß. Dein Chefredakteur hat dich dazu überredet, du hattest keine Ahnung, was du damit auslösen würdest, bla, bla, bla. Das ist nicht der Grund für meinen Anruf. Du musst mir einen Gefallen tun.«
Es dauerte eine Weile, bis Abby begriffen hatte, dass er ihr die Absolution erteilte, allerdings unter gewissen Bedingungen. Im Hintergrund vernahm er leise Musik, dann die Stimme einer Frau. Er hörte, wie Abby das Telefon vom Mund weghielt und seinen Namen nannte.
»Okay«, sagte sie zu ihm. »Worum geht‘s?«
»Kannst du mir alles zusammensuchen, was sich über einen Mann namens James Vilner finden lässt? Er ist Ende dreißig, angeblich eine Art Geschäftsmann.«
»Angeblich?«
»Falls er Geschäfte macht, dürften sie eher illegaler Art sein.« Er gab ihr eine kurze Beschreibung. »Er hat einen nordenglischen Akzent, aber ich nehme an, dass er in London oder im Südosten wohnt.«
»Und wieso interessierst du dich für ihn?«
Craig lächelte in sich hinein. Er musste es ihr nicht sagen, aber er wusste, dass die Wahrheit ein großer Ansporn sein würde. »Er ist ein Geschäftspartner von George Matheson.«
Wieder eine Pause. Als Abby weitersprach, konnte sie ihre Erregung nur schlecht kaschieren. »Darf ich das, was ich herausfinde, verwenden?«
»Ich hätte nichts anderes erwartet.«
Er konnte fast sehen, wie Abby zusammenzuckte. »Touché – das habe ich wohl verdient. Ich mache mich gleich heute Abend daran.«
Der Killer beobachtete, wie sie parkten und zu Fuß losgingen. Er war dankbar für die Gelegenheit, anzuhalten und sich ein wenig zu sammeln. Er sah, dass sich allerhand neue Chancen auftaten, doch um sie nutzen zu können, bedurfte es einiger Vorbereitung.
Er kehrte zu der Tankstelle zurück, die er gerade passiert hatte, und tankte. Dann fuhr er wieder auf den Parkplatz und stellte sich so hin, dass er Walkers Golf im Blick hatte. Direkt neben dem Parkplatz war ein Supermarkt. Er brauchte weniger als fünf Minuten, um alles zu kaufen, was er benötigte.
Er trank ein wenig Wasser und aß ein Käsesandwich. Das Brot war trocken, und der Käse schwitzte, aber das war ihm egal.
Er hatte auch Schokolade gekauft. Er brauchte Kalorien. Es gab noch eine Menge zu tun. Er war müde, aber in aufgedrehter Stimmung. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, aber auch ein extrem produktiver.
Während er wartete, hörte er Radio. Die Topmeldung in den Lokalnachrichten war ein schwerer Brand im Haus des »Chilton-Amokläufers Carl Forester«. Unbestätigten Berichten zufolge war in dem ausgebrannten Gebäude eine Leiche gefunden worden, allerdings gab es noch keine Hinweise auf die Identität des Opfers.
Nachdem die Meldungen verlesen waren, ergingen sich die beiden Moderatoren noch ein wenig in Spekulationen. Ein tragischer Unfall, mutmaßten sie. Oder Selbstmord. Peggy Forester war eine einsame Frau gewesen, Alkoholikerin, bei den Nachbarn verhasst. Wer konnte es ihr verdenken, wenn sie sich das Leben nahm?
Der Killer hörte es und lachte. Hörte es und lachte.
Sie verbrachten vielleicht zwanzig Minuten in dem Café. Craig erklärte ihr, dass er eine befreundete Journalistin gebeten habe, Recherchen über James Vilner anzustellen, und sie fand die Idee gut. Danach sagten sie kaum noch etwas, wechselten nur ab und zu einen Blick und lächelten müde.
Auf dem Weg zurück zum Wagen rief er seine Frau an. Automatisch wechselte Julia auf die andere Seite des Gehsteigs, damit er ungestört reden konnte. Zunächst hörte er sich kühl und steif an, doch dann änderten sich sein Ton und seine Körpersprache schlagartig, und sie nahm an, dass das Telefon an seine Kinder weitergereicht worden war. Es war herzzerreißend, mit anzuhören, wie viel Munterkeit und Zärtlichkeit er in seine Stimme zu legen versuchte, als ob das seine Abwesenheit wettmachen könnte.
Dann war Nina wieder dran. Craig nickte die ganze Zeit nur und sagte: »Ja. Ja.« Julia vermutete, dass sie
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