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Amok: Thriller (German Edition)

Amok: Thriller (German Edition)

Titel: Amok: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Bale
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nachgedacht, und dann hatte sie gefragt: »Woher weißt du, was ein kostbarer Moment ist?«
    Jetzt erinnerte sie sich an seine traurige, weise Antwort: »Wenn genug Jahre vergangen sind, ist alles kostbar.«
     
    Der Scotch war im Fußraum zwischen Rückbank und Fahrersitz versteckt. Kaum war Julia im Haus verschwunden, da vernahm Craig schon seinen Lockruf. Er versuchte ihn zu ignorieren, hielt aber nicht einmal eine Minute durch.
    Ein kleiner Schluck. Nicht einmal ein Mundvoll. Das konnte doch nichts schaden. Was hatte er zum Lunch gehabt – zwei Bier? Immer noch unter der Promillegrenze.
    Craig wischte sich den Mund ab und kostete das Brennen in der Kehle aus. Dann kramte er die extrastarken Pfefferminzbonbons aus dem Handschuhfach hervor und steckte sich ein paar in den Mund. Schließlich konnte er nicht riskieren, dass Julia es an seinem Atem roch.
    Er wartete noch ein paar Minuten und überlegte gerade, ob er sich noch einen Schluck gönnen sollte, da kam Julia aus dem Haus. Als sie einstieg, sah er, dass sie ein Tagebuch in der Hand hielt.
    Sie sah ihn an und zog die Nase hoch. Er dachte schon, er sei ertappt, doch dann bemerkte er die Tränen, die ihr übers Gesicht liefen.
    »Alles okay?« Ohne nachzudenken streckte er die Hand nach ihr aus. Seine Finger berührten fast schon ihre Wange, als sie sich rasch wegdrehte. Sofort zog er die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.
    »Sicher.« Sie schniefte wieder. »Wieso?«
    »Sie weinen ja.«
    Mit leicht ungläubiger Miene wischte sie sich über die Wangen, als habe sie es noch gar nicht bemerkt. Peinlich berührt ließ er den Motor an, warf einen Blick über die Schulter und fuhr los. Es war ein langer, anstrengender Tag für sie beide gewesen, aber wenigstens war er so gut wie vorbei.
     
    Nachdem Vilner gegangen war, schleppte sich George erschöpft die Stufen hinauf zu seiner Frau. Er war erst sechsundfünfzig, doch in letzter Zeit fühlte er sich meistens wie hundert. Allmählich fragte er sich, ob Toby nicht doch recht hatte. Vielleicht sollte er sich wirklich für ein paar Monate nach Antigua zurückziehen. Zum Teufel mit dem Geschäft, mit Kendrick und der ganzen Bagage. Und wenn alles den Bach runterging in seiner Abwesenheit, war das denn so schlimm? Er musste nichts mehr beweisen, und es war kaum noch jemand übrig, dem er etwas hätte beweisen können.
    Vanessa sah ihm zu, wie er die Treppe erklomm. Sie hielt sich am Geländer fest und zitterte von der Anstrengung, sich auf den Beinen zu halten. Immer noch war sie von diesem Zwang besessen, bis an ihre Grenzen zu gehen, ganz gleich, wie sehr es an ihre Substanz ging. Er wusste nicht, ob er sie bewundern oder bemitleiden sollte. Mit beidem hatte er es schon versucht, und mit beidem hatte er nur Verachtung geerntet.
    »Wie geht es dir?«
    »Ich sterbe«, sagte sie. »Was ist deine Ausrede?«
    Er bot ihr seinen Arm, und sie nahm ihn widerstrebend. Sie war jetzt mehr und mehr an ihr Zimmer gefesselt, und er hatte privates Pflegepersonal für sie organisiert. Ihr Arzt hatte angedeutet, dass für ihre letzten Tage und Wochen ein Hospiz angenehmer sein könnte, doch Vanessa war fest entschlossen, zu Hause zu bleiben.
    Er half ihr ins Bett und versuchte, nicht allzu gekränkt auf ihre Einmischung in sein Gespräch mit Vilner zu reagieren. Es war demütigend, dass sie mitbekommen hatte, wie tief er in seinem geschäftlichen Umgang gesunken war.
    Er blieb noch eine Weile an ihrem Bett sitzen und berichtete ihr von dem Besuch, wobei er keine Details aussparte. Es war ein überraschend gutes Gefühl, sich alles von der Seele zu reden – ein Zeichen, dass das Band zwischen ihnen immer noch existierte, auch wenn es nach all den Jahren der Vernachlässigung sehr dünn geworden war. Sie war alles, was ihm geblieben war, und bald würde er auch sie verlieren.
    »Vilner hinzuzuziehen war ein ziemliches Eigentor«, sagte er. »Jetzt wird Kendrick ganz genau wissen, in was für Schwierigkeiten wir stecken.«
    Vanessa ignorierte die versteckte Kritik an ihrer Entscheidung. »Nimmst du den beiden ihre Geschichte ab?«
    »Darum geht es doch gar nicht. Julia Trent glaubt es, und offensichtlich hat sie Walker überzeugt. Wie lange wird es wohl dauern, bis noch andere darauf hereinfallen?«
    Ihre Augen fielen zu, und sie war lange still. Vielleicht grübelte sie über das Problem nach, vielleicht war sie auch eingeschlafen. Er schob seine Hand unter die Bettdecke, fand ihre und umfasste sie. Sie fühlte sich nicht

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