Amokspiel
Geiselnehmers nur dreißig Sekunden später. »Das wird sie, sobald Sie Ira gehen lassen.«
»Nein. So läuft das nicht. Ich muss erst sichergehen, dass im Hubschrauber kein Double sitzt.«
Verdammt. Götz legte sich auf den Boden des Daches und robbte sich langsam zum Standpunkt von Team B vor.
Trotz der lauten Windgeräusche hier oben konnte er hören, wie Ira etwas zu Jan sagte. Kurz danach hörte er dessen Stimme wieder auf dem linken Ohr. »Ira macht den Vorschlag, dass ich meine Waffe niederlege. Dann kommt Leoni raus. Und dann werde ich Ira mit diesem Messer hier losschneiden.« Aus den Augenwinkeln sah Götz, wie Jan etwas in die Luft hielt, das in der warmen Spätnachmittagssonne metallisch aufblitzte.
Oder du wirst sie damit abstechen, dachte er und robbte weiter.
Der Abstand zu den SEK-Männern hinter dem Klimakasten verkürzte sich auf knapp sechs Meter. Götz wechselte den Kanal. »Speedy. Zeig dich!«
»Sofort«, kam die Antwort. Diesmal auf dem rechten Ohr. »Jetzt!«
»Sorry. Die Kamera hat sich verbogen. Ich musste den Helm abnehmen und bin in Deckung.« Das klang plausibel. Allerdings müsste ich ihn jetzt doch wieder sehen können?!
»Also gut, Jan«, wechselte Götz wieder zum Geiselnehmer. »Lassen Sie die Waffe fallen.«
»Dann kommt Leoni raus?«
»Dann kommt sie raus«, bestätigte er. Seinen Leuten gab er die Anweisung, unter keinen Umständen zu schießen, egal, was gleich passieren würde.
»Leoni soll sich in Position bringen und auf mein Zeichen aussteigen«, wies er danach die Einsatzzentrale an, die über den Piloten die Verbindung zum Hubschrauber hielt.
Kurz darauf löste Jan mit einer quälend langsamen Bewegung seine Waffe von Iras Schläfe. Er streckte seinen Arm im rechten Winkel von sich und warf die Pistole zu Boden.
»Los!«, funkte Götz zur Einsatzzentrale. Einen Augenblick später verschwand Leonis Gesicht hinter dem Bullaugenfenster des Hubschraubers.
»Sie kommt, Jan.« Götz lag immer noch auf dem Boden, jetzt nur noch zwei Meter von seinen Leuten vom Team B entfernt. Verwundert sah er zwei Männer vor sich. Und ein ausgestrecktes Bein. Kauert Speedy um die Ecke, hinter dem Klimaaggregat? Das würde seinen letzten Funkspruch bestätigen. Auf dem Monitor verwischten gerade mehrere Bilder, als ob jemand heftig an der Kamera ru-ckeln würde.
Mittlerweile war Leoni in der offenen Schiebetür des Hubschraubers erschienen und ausgestiegen. Götz sah nach vorn.
In ihrem modischen Businessoutfit und mit den im Wind wehenden Haaren wirkte sie wie eine Schauspielerin in einem Werbefilm für edles Parfum oder eine neue Zigarettenmarke. Mit dem kleinen Unterschied, dass hier ein Wahnsinniger Regie führte und Götz nicht wusste, wie dieser Film heute ausgehen würde. Im Moment kannte nur Jan das Drehbuch. Dieser war ganz offensichtlich von Leonis Identität überzeugt. Mit drei schnellen Handbewegungen schnitt er Ira von sich los und löste ihr die Fesseln. Ira blieb aus unerfindlichen Gründen dicht bei ihm stehen und beobachtete, wie Leoni und Jan sich langsam einander näherten.
»Ich werde jetzt meine Verlobte begrüßen«, sprach May mit bewegter Stimme. »Danach können Sie mich haben.«
»Keine hastigen Bewegungen. Keine Fehler!«, warnte Götz. Ira stand weiterhin in der Schusslinie, zu nah bei Jan May für einen gewaltsamen Zugriff. Bei der Einsatzplanung waren alle übereingekommen, eine mögliche Umarmung von Leoni und Jan abzuwarten, weil hier die Ablenkung am größten war. Es sei denn, Jan hätte doch keine lauteren Absichten.
Plötzlich flimmerte es auf dem tragbaren Monitor. Und nun sah Götz, welchen Fehler er gemacht hatte. Speedys Kamera funktionierte wieder einwandfrei - und ihr Bild trieb seine Herzfrequenz in die Höhe. Sein Gehirn zerlegte die Szene in einzelne Bilder: Jan, der Leonis Hand nahm, die sie ihm zögerlich entgegenstreckte. Ira, die die Szenerie beobachtete, während sie sich von den letzten Resten der Klebebandfesseln befreite. Die beiden Gesichter, die sich langsam näherten. Und der Hubschrauber im Hintergrund, dessen Rotorblätter endlich zum Stillstand gekommen waren.
Der Kopf! Der Kopf des Polizisten, der Leoni hierher begleitet hatte! Er ruhte leblos wie der eines Schlafenden an der Plexiglasscheibe des Hubschraubers, während Blut aus einer Austrittswunde am Hals herablief. Das Cockpit, schrie Götz in Gedanken. Die Gefahr ging nicht von Speedy aus. Nicht von seinem Team. Nicht von hinten. Sondern von vorne! Vom Piloten,
Weitere Kostenlose Bücher