Amokspiel
Profil verschwommen hinter einem der eckigen Plastikfenster erkennen. Auf die Entfernung war es unmöglich einzuschätzen, in welcher Gefühlslage sie sich befand. Götz tippte auf eine Mischung aus Furcht und ängstlicher Erregung. Das Bild, das sich ihr zeigte, ließ mit Sicherheit keine große Wiedersehensfreude aufkommen. Götz hatte sein gesamtes Team hinter zwei großen, mit grauem Leichtmetall verkleideten Abzugsblöcken der Luftanlage postiert. Sie zielten mit ihren Laserpointern auf das schwankende Duo, konnten aber durch die zuckelnden Bewegungen kein einheitliches Ziel ausmachen. Mal war Iras, mal Jans Hinterkopf im Visier. Auch sein rechter Arm, mit dem er ihr eine Waffe an die Schläfe drückte, wackelte viel zu sehr. Götz selbst stand hinter dem kleinen Dach-Ausstieg, aus dem der Geiselnehmer mit seinem Opfer nach oben ins Freie getreten war. Das Zweier-Team A zu seiner Linken war mit einem kugelsicheren Schutzschild ausgerüstet, mit dem sie auf Kommando zu dem Zielobjekt vorrücken würden, während das Dreier-Team B rechts von ihm Feuerschutz gab.
Doch etwas lief nicht nach Plan.
Götz drückte auf den Monitor und holte sich einzeln die Helmkameras seiner Leute auf das Display. Alle fokus- sierten Ira und Jan. Alle. Bis auf .
Was ist da los?
»Alles okay, Speedy?«
»Ja.«
»Und wieso bist du nicht auf zwölf Uhr?«
»Bin ich doch.«
Götz aktivierte noch mal das Bild von Kamera vier, um sicherzugehen. Nichts. Speedy sollte wie die anderen den Täter und seine Geisel fixieren. Stattdessen zeigte der Bildschirm nur die schwarzgraue Dachpappe, auf der Ira und Jan langsam nach vorne schlurften. Direkt auf den Hubschrauber zu. Noch waren sie mehrere Meter von den nachschwingenden Rotorblättern entfernt. »Check deinen Helm, Speedy«, funkte Götz und suchte seine Umgebung mit den Augen ab. Von seiner Position aus konnte er seine Leute nicht erkennen. Wohl aber die Scharfschützen auf dem Dach des DB-Gebäudes gegenüber. Das Glas-Hochhaus überragte den Schauplatz um zwei Stockwerke. Die drei Präzisionsschützen warteten ebenso auf einen Befehl wie die anderen fünf SEK-Män-ner. Eigentlich hätten es sechs sein sollen. Doch Onassis konnte ja nicht mehr bei ihnen sein. Und auf ihn hatte Götz sich immer am meisten verlassen. Mehr jedenfalls als auf...
»Speedy, ich seh immer noch nichts.« Ira und Jan waren nur noch knapp sechs Meter vom Hubschrauber entfernt. »Moment.«
Es knackte in seinen Kopfhörern, doch auf dem Monitor konnte Götz keine Veränderung feststellen. Aber dieses Problem musste jetzt einen Augenblick warten. Denn einen Schritt vor dem Rotor war Jan, wie verabredet, auf einer Kreidemarkierung stehen geblieben. Götz griff zum Megaphon und brüllte gegen die Windgeräusche auf dem Dach an:
»Hallo, hier spricht Oliver Götz, ich führe ein SEK- und ein Präzisionsschützenteam. In diesem Augenblick sind acht vollautomatische Waffen auf Sie gerichtet. Wenn Sie sich daran halten, was man Ihnen erklärt hat, dann wird heute alles gut ausgehen. Lassen Sie jetzt die letzte Geisel frei.«
Während seiner Ansage hatte sich immer noch kein scharfes Bild von Speedys Helmkamera aufgebaut. Also verließ Götz seinen Schutz hinter dem Ausstieg. Er rannte geduckt zu Team B, das Megaphon in der einen, die halbautomatische Waffe in der anderen Hand. Hinter einer überdimensionalen Satellitenanlage legte er eine Zwischenstation ein. Von hier aus konnte er wenigstens die Rücken seiner Männer erkennen. Verdammt! Wo ist der Kerl? Warum stehen da nur zwei? »Speedy?«
Keine Antwort. Auch vor ihm tat sich nichts. Jan machte keine Anstalten, Ira loszubinden.
»Sie haben keine andere Wahl, Jan«, brüllte Götz durchs Megaphon. »Leoni sitzt in dem Hubschrauber. Sie kommt nur raus, wenn Ira freigelassen wird.« Jan formte mit dem Daumen und kleinen Zeigefinger seiner Hand einen imaginären Telefonhörer und hielt ihn sich ans Ohr.
Götz sah abwechselnd nach vorne und seitlich zu Team B. Er musste im Bruchteil einer Sekunde eine Entscheidung treffen. Sollte er eine Funkverbindung zum Täter aufbauen oder den Einsatz abbrechen, solange er nicht wusste, ob Gefahr drohte?
»Ich brauche Mays Handy. Left and only!«, gab er die Anweisung an die Einsatzzentrale. Left and only, das war der interne Code dafür, dass das Gespräch auf seinem linken Ohr liegen und nicht von anderen mitgehört werden sollte. Schon gar nicht von Speedy. »Sie soll rauskommen!«, hörte Götz die Forderung des
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