Amokspiel
streifte Götz an der linken Schulter. Doch anders als in billigen Actionfilmen flog er nicht meterweit nach hinten. Sein Oberkörper wurde seitlich weggerissen, als hätte ihn ein Footballspieler in vollem Lauf angerempelt. Er schwankte. Aber er blieb stehen. Und feuerte aus seiner halbautomatischen Pistole direkt auf den ungeschützten Kopf des Piloten. Dieser lud bereits nach. Seine Pumpgun spuckte die erste, verbrauchte Hülse in weitem Bogen auf das Dach. Gleichzeitig sprang er aus dem Hubschrauber und entkam dadurch der Kugel von Götz. Aber der Killer gab seine Deckung auf. Und sah sich jetzt einer neuen Gefahr gegenüber: Ira.
Sie richtete die Waffe auf ihn, die Jan kurz zuvor auf das Dach fallen gelassen hatte, schloss die Augen und drückte ab.
Der Gerichtsmediziner würde später feststellen, dass insgesamt drei Kugeln ihr Ziel erreichten: Die erste traf Götz. Die zweite den Hals des Killers. Er starb. Nur eine Nano-sekunde bevor sein Geschoss seitlich in Leonis Rücken einschlug. Ira hingegen konnte nichts ausrichten. Nur zusehen.
Jan hatte Platzpatronen geladen.
»Ich mach dich fertig«, brüllte Götz, während er wie im Drogenrausch auf Steuer zuwankte. Seine Lederjacke war oberhalb des linken Schulterblattes aufgerissen, dort wo ihn der Streifschuss getroffen hatte. Ira konnte nicht einschätzen, wie stark er verletzt war, aber anscheinend steckte noch ausreichend Kraft in ihm, um mit seinem gesunden Arm den Einsatzleiter beinahe zu Fall zu bringen.
»Sie stehen unter Schock«, keuchte Steuer und wich ängstlich zurück. Götz war außer sich. Seine Wut musste einen Liter schmerzverdrängenden Adrenalins in seine Blutbahn gespült haben.
»Sie waren es!«, brüllte er und schubste den Einsatzleiter erneut. »Sie haben den Piloten ausgesu...« Götz unterbrach sich mitten im Wort und machte verblüfft mehreren Sanitätern Platz, die zwei Tragen an ihnen vorbeirollen wollten. Auf der einen befand sich der ermordete Polizist aus dem Hubschrauber. Auf der anderen hockte ein Pfleger, der gerade mit blutverschmierten Fingern zur HerzRhythmus-Massage bei Leoni ansetzte. »Wo lassen Sie sie hinbringen?«, fragte Götz irritiert und sah dem Tross hinterher. Als Erstes hatte man Jan und das Baby aus der Gefahrenzone gebracht. Auf der Liege begannen Leonis Beine unkontrolliert zu zittern. »Da, wo Sie ebenfalls hinmüssten«, antwortete Steuer. »Unten wartet ein Rettungswagen. Sie kommt ins Benjamin Franklin.«
»Na klar, ins am weitesten entfernte Krankenhaus von hier. Warum nicht gleich nach Moskau?«
Götz spuckte angewidert auf den Boden. »Leoni soll am besten schon auf dem Transport verrecken, oder? Dabei steht die Charité in Sichtweite.« Ira sah zum Sony-Center hinüber, hinter dem sich das lehmrote Klinikhochhaus mit dem Namenszug an seiner Dachspitze in den Berliner Himmel stemmte. Charité. Allein der Name verstärkte einen grauenhaften Gedanken, der sich wie rostiger Stacheldraht in den Wänden von Iras Nervenbahnen verfangen hatte. Kitty! Sie musste zu ihr. So schnell wie möglich. »Es gibt noch einen weiteren Grund, warum er Leoni nicht dorthin bringen will«, flüsterte sie Götz ins Ohr. » Welchen? «
»Kitty! Sie ist in der Charité. Und Schuwalow hat einen Killer auf sie angesetzt.«
»Sind Sie jetzt auch völlig übergeschnappt, Ira?«, protestierte Steuer, der offenbar ihre letzten Worte doch verstanden hatte. Mit beiden Armen machte er eine ausholende Bewegung.
»Es gibt keine andere Möglichkeit. Rund um den Potsdamer-Platz tobt ein Verkehrschaos. Wir bekommen den Krankenwagen schneller nach Steglitz als hundert Meter Richtung Mitte!«
Götz hörte gar nicht mehr zu. Seine Augen wanderten rastlos zwischen Ira, Steuer und der Metalltür hin und her, hinter der Leonis Trage soeben verschwunden war. Als sich ihre Blicke trafen, sah Ira, dass Götz seinen ersten Schock langsam überwunden hatte. Dafür bahnte sich der Schmerz erbarmungslos den Weg in sein Bewusstsein.
Ira räusperte sich und öffnete ihre trockenen Lippen. »Bitte hilf mir«, wollte sie sagen. »Hilf Kitty.« Aber es war, als ob die Angst wie ein Gewicht an ihren Stimmbändern zog. Sie verfügte nicht mehr über die Kraft, sie in Schwingungen zu versetzen. Doch das war auch gar nicht mehr nötig. Götz verstand sie auch so. »Ich lasse das nicht zu«, sagte er zu Steuer. »Ich verstehe nicht?«
»Ich lasse es nicht zu, dass Leoni im Krankenwagen eine Überdosis Atropin gespritzt wird.«
»Sie sind
Weitere Kostenlose Bücher