Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
nur so blind sein?
    Die ganze Zeit hatte er nur ein Ziel gehabt: Herauszufinden, ob Leoni noch lebte. Dazu musste er alles unternehmen, um die Stürmung so lange wie möglich hinauszuzögern. Nur deshalb brachte er sie zum Tatort und überredete Steuer, ihr die Verhandlungsleitung zu überlassen. Er schickte Diesel aus dem Sender, als dieser der Identität der Scheingeiseln zu dicht auf der Spur war. Protestierte in der Konferenz lautstark gegen den Einsatz. Und ging schließlich selbst ins Studio, als er einen Zugriff nicht mehr verhindern konnte.
    »Manfred Stuck war noch am Leben, als du ihn gefunden hast!« Es war eine verzweifelte Feststellung und keine Frage. Götz nickte trotzdem.
    »Er war nur betäubt. Du hast ihn erschossen. Nicht Jan. Genauso wie Onassis. Nach dem Einsatz sollte sich niemand mehr ins Studio trauen. Du hast alles getan, damit die Geiselnahme so lange andauert, bis Leoni gefunden war.«
    Als Antwort wackelte Götz mit dem Hubschrauber und lachte dabei zynisch. Sie befanden sich nur noch wenige Meter über dem Boden. »Und von meiner Entführung durch Schuwalow wusstest du auch, nicht wahr? Auch das war eine Inszenierung. Von der Verschleppung bis zur Befreiung.« Iras Gedanken wirbelten schneller als die Rotorblätter über ihrem Kopf.
    Natürlich. Nachdem Steuer sie vom Tatort verbannt hatte, musste Götz dafür sorgen, dass Ira wieder zurück an den Verhandlungstisch kam. Deshalb war Marius auch so auskunftsfreudig gewesen. Sie sollte nur die notwendigen Informationen über die Zusammenhänge zwischen Faust, dem Zeugenschutzprogramm und Leoni verstehen und danach weitersuchen. Götz hatte sie missbraucht und manipuliert. Ohne es zu wissen, war sie durch ihn zu einer Marionette der Mafia geworden. Und fast wäre sie dabei sogar noch mal mit ihm ins Bett gestiegen. Selbst Faust musste geahnt haben, dass Götz ein falsches Spiel spielte. »Das könnte ich Ihnen nur sagen, wenn wir alleine wären«, war einer seiner letzten Sätze gewesen. Jetzt erhielt er eine völlig neue Bedeutung.
    »Ich muss dich wohl nicht fragen, warum du das alles tust, oder?«
    »Meine Wohnung ist nicht abbezahlt, ich hatte letztes Jahr Pech beim Spielen. Ich stecke bis zum Hals in Schulden«, hatte Götz ihr selbst gestanden. »Ich kann es mir nicht leisten, meinen Job zu vermasseln.« Nun war ihr auch klar, bei wem er die Schulden hatte und welchen Job er damit meinte.
    Ira streifte ihren Kopfhörer ab und hangelte sich taumelnd zum Cockpit vor. »Um wie viel Geld geht es hier? Hätte Marius dich nicht von der Leine gelassen, wenn ein anderer Leoni erledigt? Musstest du deshalb den Piloten erschießen?«
    »Warum fragst du denn noch, wenn du eh schon alles weißt?«
    Der Fußraum des Hubschraubers war mit durchsichtigem Plexiglas ausgekleidet, durch das Ira einen unkrautüberwucherten Erdboden näher kommen sah. Götz hatte eine gute Landefläche ausgemacht, direkt zwischen einem zerfallenen Backsteinhäuschen und einem Stapel ausrangierter Schienen.
    Bei diesem trostlosen Anblick musste Ira an heute Morgen denken. An die Kapseln in ihrem Gefrierfach. An ihre Tochter, die vermutlich schon tot war. Sie erinnerte sich an Sara und die Gespräche mit Jan. An Leoni. Und auf einmal wurde sie ganz ruhig. Ihr Puls verlangsamte sich, und eine fast erlösende Ruhe breitete sich in ihrem Inneren aus, während die Kufen des Hubschraubers auf dem schottrigen Boden aufsetzten.
    Ira drehte sich wieder um und sah in den Passagierraum, an Leoni vorbei, zu dem zerschossenen Fenster. Sie spürte, dass die Waffe, die vor wenigen Minuten noch Steuer in Schach gehalten hatte, nun auf ihren Rücken zielte.
    Alles war gelogen. Jede einzelne Zeile auf dem gräulichen DIN-A4-Bogen, den sie gerade unterschrieb. Das Trauma des Tages hatte sie nicht zerbrochen. Sie wollte ihrer Schwester nicht folgen. Es war nicht ihr freier Wille, sich selbst das Leben zu nehmen. Trotzdem setzte Kitty Datum und Uhrzeit neben ihre Unterschrift. Nur, weil der elegante Mann in dem schneeweißen Arztkittel es so wollte, der sich erst als Dr. Pasternack ausgegeben und ihr dann eine Waffe vors Gesicht gehalten hatte. »Sehr schön«, sagte er und hielt die schallgedämpfte Pistole etwas schräg, damit er einen Blick auf seine teure Armbanduhr werfen konnte. »Und jetzt nimm die Tabletten.«
    Kitty registrierte verstört, dass ihr Mörder verheiratet war. Er trug einen Platinring an der Hand, mit der er auf die Pillen vor ihr auf dem schwenkbaren Nachttisch deutete.

Weitere Kostenlose Bücher