Amokspiel
wollen wir unsere große Liebe doch nie wirklich kennen lernen. Nur durch ihre Geheimnisse werden sie uns nie langweilig .« Er räusperte sich. »Deshalb dachte ich ja auch, es würde mit mir und Leoni so gut klappen.« Fast hätte Ira den letzten entscheidenden Satz überhört, so sehr war sie damit beschäftigt, die Flasche zu öffnen. »Was war denn Leonis Geheimnis?«, fragte sie. »Ich hab es nie herausgefunden. Schätze, deswegen sind wir heute hier, was?« Er lachte gekünstelt. »Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Kurz bevor sie verschwand, bin ich Leoni auch einmal gefolgt. So wie Sie Ihrer Tochter auf den Parkplatz bin ich meiner Freundin in den Straßen Berlins hinterhergeschlichen. Sie besuchte mich eines Mittags in meiner Praxis und wollte mit mir essen gehen. Das war ungewöhnlich, weil Leoni sonst nie spontane Entschlüsse fasst. Verstehen Sie das jetzt nicht falsch. Sie ist nicht langweilig oder gar verklemmt. Einmal setzte sie das Schlafzimmer meines Potsdamer Hauses unter Schaum, weil sie das Gefühl haben wollte, wir liebten uns auf Wolken. Sie war außergewöhnlich und überraschend, aber nur solange wir die eigenen vier Wände nicht verließen. Die Öffentlichkeit - oder irgendetwas darin -machte ihr Angst. Große Angst. Wenn wir uns verabredeten, wollte sie immer ganz genau wissen, wo wir uns treffen und welchen Weg wir nehmen würden. Bei jedem Ausflug schaute sie ununterbrochen nervös in den Rückspiegel.«
»Aber auf einmal stand sie unangemeldet in Ihrer Praxis und wollte mit Ihnen essen gehen?«, fragte Ira. »Ja. Es tat mir in der Seele weh. Ausgerechnet da konnte ich nicht spontan sein. Ich erwartete gerade die Mutter einer dreizehnjährigen Patientin, um sie über das Problem ihrer Tochter aufzuklären, das leider nicht nur psychologischer Natur war. Die Kleine hatte Aids.«
»Himmel«, stöhnte Ira. Vor ihrem inneren Auge blitzte Saras Gesicht auf wie eine überbelichtete Fotografie. »Um es kurz zu machen - Leoni war erst zwei Minuten fort, da rief die Mutter an und verschob den Termin. Ich rannte Leoni also hinterher und hatte sie unten auf dem Ku'damm beinahe eingeholt, als ...«, er zögerte kurz, »... als ich die anderen bemerkte.«
»Wen?«
»Leonis Verfolger.«
Ira starrte den bronzefarbenen Schraubverschluss der Whiskeyflasche an, die vor ihr auf dem Schreibtisch stand. Zwei Dinge waren ihr nun klar: Ihre zitternden Hände würden einen Teil des kargen Inhaltes verschütten, sobald sie die Flasche zum Mund führte. Und Jan war dabei, ihr etwas zu erzählen, was ihre Zweifel an Leonis Tod noch verstärken würde.
24.
»Die Tarnung war eigentlich perfekt. Wer würde schon eine junge Frau mit einem Kleinkind an der einen und einem Hund an der anderen Hand für einen Beschatter halten?«
»Warum haben Sie es denn getan?«
»Tat ich zuerst gar nicht. Zunächst war ich eigentlich nur verwirrt darüber, welchen Weg Leoni einschlug. Ich hatte sie ja noch nie nach Hause bringen dürfen. Sie sagte immer, sie schäme sich wegen ihrer kleinen Einzimmerwohnung in Charlottenburg, während ich ja eine Villa in Potsdam bewohnen würde. Obwohl ich ihr immer wieder beteuerte, wie wenig mir das ausmachte, musste ich sie nach unseren ersten Rendezvous immer am Amtsgericht absetzen.
Später war sie eh fast bei mir eingezogen, und sie übernachtete kaum noch in ihren eigenen vier Wänden.«
»Also haben Sie Leonis Wohnung nie gesehen?«
»Nicht bis zu jenem Tag. Ich wusste aber ungefähr, wo sie lag, und als Leoni zur Lietzenburger Straße ging, dachte ich erst, sie hätte dort noch etwas zu erledigen. Dann aber wechselte sie plötzlich die Straßenseite. Ging in ein Mode-Geschäft für Übergrößen, was bei ihrer Figur absurd war. Ich beobachtete, mittlerweile mit gebührendem Abstand, wie sie den Laden nach wenigen Minuten durch einen Seiteneingang wieder verließ. Nur um erneut die Straßenseite zu wechseln. Und dann wieder. Sie benahm sich merkwürdig, erst recht, als sie plötzlich anfing zu rennen. Da bemerkte ich es dann.«
»Was?«
»Die Frau ließ Hund und Kind einfach stehen und rannte Leoni hinterher, während sie etwas in ihr Handy sprach. Ich war vor Erstaunen noch wie erstarrt, da fuhr ein Kombi an den Straßenrand. Ein Mann stieg aus, und in weniger als zehn Sekunden waren Kind und Tier eingesammelt und mitsamt dem Fahrzeug verschwunden.«
»Was haben Sie unternommen?«
»Ich zögerte zunächst. Schließlich wollte ich wissen, was da vor sich ging. Leoni und
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