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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Bahnhofswand zu schmeißen. Er besaß jetzt nicht die Kraft, es abzuhören. Wenn die Nachricht auch nur halb so schlimm war, wie er es erwartete, müsste er heute zum ersten Mal den Inhalt seines Schließfaches benutzen.
    Wahrscheinlich ist sie sogar noch schlimmer als damals die
    Diagnose meines Hausarztes, dachte Faust. Und der hat mir nur noch fünfzehn Monate gegeben. Er wartete ab, bis eine Gruppe Jugendlicher lärmend an ihm vorbeigezogen war. Erst als niemand mehr in Sichtweite war, öffnete er das leicht klemmende Schließfach. Normalerweise wurden die Fächer alle zweiundsiebzig Stunden vom Bahnhofspersonal geleert. Nur nicht die Nr. 729. Oberste Reihe. Das dritte von links war ein Geheimfach der Polizei, für Geldübergaben an V-Männer oder Ähnliches vorgesehen. Seit einem Jahr etwa setzte Faust es jedoch ausschließlich für seine eigenen Zwecke ein. Dank seiner Körpergröße befand es sich gut in Augenhöhe. Der Oberstaatsanwalt seufzte erleichtert, nachdem er das »Defekt«-Schild zur Seite geschoben, den Schlüssel umgedreht und das Fach geöffnet hatte. Wie erwartet lag alles noch an seinem Platz. Warum auch nicht? Er hatte das Schloss ausgewechselt. Niemand sonst wusste, was hier gelagert wurde. Wer also sollte sich das Geld und die Ausweise rausholen? Sicher, an einem Tag wie heute, konnte offenbar alles passieren. Aus diesem Grund packte er vorsichtshalber den gesamten Inhalt des Faches in die Segeltuchtasche, die er mitgebracht hatte. Auch die Handfeuerwaffe.
    Faust ließ die Klappe des Schließfachs offen stehen und eilte mit schnellen Schritten zu den Toiletten. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er alleine war, überprüfte er den Reinigungsplan neben der Tür. Gut! Die Putzkolonne war gerade durch und würde frühestens in zwei Stunden wieder stören. Faust riss den Plan aus dem Metallrahmen und schrieb »Außer Betrieb!« in Großbuchstaben auf die Rückseite. Er nahm aus der Tasche eine Rolle Klebeband und riss einen Streifen mit den Zähnen ab. Damit befestigte er das provisorische Schild auf der Tür. Danach öffnete er diese, schlüpfte in den Raum hinein und verriegelte ihn zur Sicherheit noch von innen mit einem Vierkantschlüssel, den er am Schlüsselbund trug. Damit waren die ersten Vorbereitungen abgeschlossen. Er war ungestört und stand vor einem Spiegel. Jetzt musste er sich nur noch ausziehen. Das gestärkte weiße Oberhemd legte er wie sein ärmelfreies Unterhemd auf den Waschtisch neben das Becken. Dann nahm er das erste Geldbündel aus der Tasche, riss einen neuen Klebestreifen ab und klebte es seitlich oberhalb der Leistengegend an seinen ausgemergelten Körper. Als er mit dem zweiten Bündel genauso verfahren wollte, meldete sich sein Handy erneut. Der Blick aufs Display beruhigte ihn. Von diesem Anrufer ging keine Gefahr aus. »Verdammt, Steuer. Was ist da los bei Ihnen?«, schnauzte er ihn zur Begrüßung an. »Jan May. Er weiß, wo Leoni herkommt.«
    »Das habe ich auch gehört. Laut und deutlich. Im Radio!«
    Faust griff sich das dritte Geldbündel. Er musste sich beeilen, wenn er wirklich den gesamten Inhalt der Tasche auf diese Art verstecken wollte. Doch das war der einzige Weg. Er wollte unter keinen Umständen von seinem Chauffeur dabei beobachtet werden, wie er mit dieser auffälligen Tasche den Bahnhof verließ. Und wer weiß? Vielleicht würde er gar nicht mehr zu seiner Limousine zurückgehen. Vielleicht musste er sich jetzt sofort in einen Zug setzen. Das hing ganz davon ab, was der Anrufer vorhin auf seiner Mailbox hinterlassen hatte. »Ich glaube trotzdem, wir müssen uns noch keine Sorgen machen«, beschwichtigte der SEK-Chef. »Ich habe alle Ermittlungen auf Eis gelegt. Meine Leute suchen gar nicht oder in der falschen Richtung. Bislang gibt es keine Fakten, nur Misstrauen und Vermutungen.«
    »Halten Sie mich doch nicht für senil«, blaffte Faust. »Der Irre im Studio sät Zweifel. Und das ist der Anfang vom Ende. Ich spreche hier nicht nur von dem Prozess, Steuer.«
    »Ja. Das ist mir klar. Trotzdem ...«
    »Trotzdem begreife ich einfach nicht, wie das passieren konnte? Ich habe es doch dieser Schnapsdrossel von Ver-handlerin vorhin klipp und klar gesagt: keine Gespräche über Leoni.«
    Faust musterte seinen hageren Oberkörper und spürte plötzlich den unglaublichen Druck. In welche Situation war er da hineingeraten? Jetzt stand er hier. Halbnackt, von der Krankheit ausgezehrt, und versteckte sich wie ein Drogensüchtiger auf einem stinkenden

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