Amors Glücksfall (German Edition)
hagere, sehr erfolglose Katze, die nur herumstreunert und Abfälle frisst.
„Ich habe meine Brieftasche oben liegen lassen“, sage ich und zeige Richtung Lorenzos Haus, an dem wir gerade vorbeifahren. Er nickt gelangweilt. „Alles klar, höre ich jeden Tag“, sagt mir sein Blick.
„Und Sie haben bestimmt ein Abonnement, nicht wahr?“ Ganz super, jetzt werde ich hier auch noch veräppelt! Ich sehe zur Tür. Keine Ahnung, wann die nächste Station kommt. Ich müsste da eigentlich aussteigen und zur U-Bahn runtergehen, um von dort aus weiterzufahren. „Haben Sie Ihren Ausweis dabei?“, fragt der Mann etwas interessierter. Ist das jetzt eine Fangfrage? Ich habe doch gesagt, dass ich meine Brieftasche vergessen habe. Der Mann sieht nicht aus, als machte er Witze. Er bleibt direkt vor mir stehen, holt einen kleinen Block aus seiner Gürteltasche heraus und beginnt zu schreiben. Zwei weitere Kontrolleure sind offensichtlich mit ihrem Teil der Straßenbahn fertig und kommen dazu. Es wirkt, als brauche mein Kontrolleur Verstärkung. Ich sehe langsam an mir herunter. Eigentlich hat Lorenzo auf mich noch nie einen furchteinflößenden Eindruck gemacht. „Ein gestrandeter Wal ist nicht besonders gefährlich“, denke ich.
„Passt schon“, sagt der Kon trolleur zu seinen Kollegen. Es
scheint, als sehe er es genauso wie ich. „Wollen Sie mir folgen?“ Die Tram hält an. „Nö!“, denke ich. Andererseits muss ich hier eh aussteigen und genau genommen habe ich ja auch keine Alternativen. Ich stehe auf und trotte ihm hinterher. Bereits die nächste Frage stellt mich vor ein Problem.
„Wie heißen wir denn?“
Witzig, dass er von „wir“ redet. Also ich heiße Mark und der andere hier ist der Lorenzo. Nur kurz überlege ich. Es hat ja auch Vorteile, dass man im Moment von meinem richtigen Körper nicht wirklich was sehen kann.
„Acht, Lorenzo“, sage ich fa st wahrheitsgemäß, diktiere die restlichen Daten, von denen ich mir nicht hundertprozentig
sicher bin, dass sie alle stimmen und unterschreibe das
Vernehmungsprotokoll.
„Wo wollten Sie hin?“, frag t er mich, nachdem er mir einen Zahlschein in die Hand gedrückt hat.
„Ins Universitätsklinikum Gr oßhadern“, antworte ich diesmal völlig ohne jedes Flunkern.
„Was Schlimmes?“, fragt er weiter. Ich hoffe, dass er ein
bisschen besorgt ist. Er beginnt in seiner Westeninnentasche zu kramen.
„Ja, ziemlich!“ Keine Ahnung, ob das stimmt, aber vielleicht
kann ich mir so eine Zigarette erschnorren, denn ich sehe, dass er eine Marlboro-Packung herausholt.
„Auch eine?“
„Danke! Wie ist es, kann ich mit diesem Ding hier weiterfahren?“ Ich deute auf den Zahlschein, lasse mir von ihm Feuer geben und ziehe sehnsüchtig an meiner ersten Zigarette seit Stunden. Kurz sehe ich ihn nicken, doch dann verschwimmt alles.
Ich beginne zu husten, ein schmerzhafter Würgreflex nimmt mir fast vollständig den Atem. Lange Minuten vergehen, bis ich spüre, wie jemand mir mit voller Wucht auf den Rücken schlägt. Das vorsichtige Klopfen zuvor hat keine Wirkung gezeigt, erfahre ich später.
„Was ist denn los?“
Ich setze mich auf eine Bank und komme nur langsam zur Ruhe. Keine Ahnung, was das jetzt war.
„Danke“, sage ich. „Nichts Schlimmes“ Eine zweite Zigarette kann ich jetzt wohl vergessen. Dabei hat sich das nach dem Hustenanfall mit dem Bedürfnis nach ein paar tiefen, entspannenden Zügen keinesfalls erledigt. Ganz im Gegenteil.
Jetzt weiß ich innerhalb weniger Sekunden, wie sich psychische Abhängigkeit anfühlen muss. Nicht schön, gar nicht schön. Neben dem Schmerz in der Brust ist da nämlich noch ein anderes Gefühl. Es sitzt in meinem Kopf und es pocht und schreit wie verrückt.
Später in der U-Bahn beginne ich zu ahnen, was das alles bedeuten könnte. Ich denke an Lorenzo, der in seinem eigenen Körper stillhält und sich, so wie es aussieht, wahrscheinlich aus Trotzigkeit wenigstens körperlich bemerkbar macht. Super, die nächsten 30 Tage teile ich mir diesen Körper mit ihm. Und er wiederum steckt in meinem Körper, von dem er als schwuler Mann nur träumen kann. Er denkt bestimmt wirklich, dass er träumt. „Gern geschehen, Lorenzo“, denke ich und grinse in mich hinein: „Das jahrelange Training hat sich ja nun endlich ausgezahlt, was? Dafür macht dir das mit der Kackpfanne hoffentlich nicht so viel aus!“
Wie in einer Endlosschleife dreht sich der Gedanke an die demütigende Bettpfanne so lange um mich
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