Amors Glücksfall (German Edition)
IT-Experten, zurücksetzen, um weiter mein Glück zu versuchen. Die Tatsache, dass Lorenzo sich seine Passwörter nirgends notiert, wo ich sie finden kann, macht mir das Ganze erheblich schwieriger, als die Sache mit seiner PIN. Ich brumme vor mich hin und sehe erst auf, als Jan Ruths Namen ruft, sie daraufhin aufsteht und Richtung meines Büros rüberwatschelt. Ich sehe ihr nach. „Die neue Aushilfe!“, meldet mein Kopf sofort. Der Termin ist heute um zehn. Ich blicke auf die kleine Uhranzeige im Telefondisplay vor mir. Zehn Uhr vierzig. Mist. Ich verspäte mich nie.
Um elf Uhr werde auch ich von Jan in mein Büro gerufen. Unterwegs schnappe ich auf, dass Ruth es die ganze Zeit auf meinem Handy versucht. Bis auf mich selbst weiß allerdings niemand, dass sie sich die Anrufe auch sparen kann. Ich trete näher und sage dazu vorsichtshalber trotzdem kein Wort.
Schon an der Schwelle des Raums atme ich allerdings leichter. Das hier ist mein Zuhause, hier bin ich daheim. Also fast, meine ich. Sogar die Luft hier bekommt mir besser. Ich sehe mich um, als sei ich das erste Mal hier. Nur so, damit niemand mitbekommt, wie wohl ich mich in diesem riesigen Zimmer mit den Rundum-Glasfronten fühle.
„Es kann sein, dass ich bald ins Krankenhaus muss“, stammelt Ruth und versucht meinen Blick einzufangen. Ich beginne zu ahnen, was hier passiert. Einer Schwangeren die Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters anzuvertrauen, ist so sicher, wie einem Vierjährigen ein Feuerzeug in die Hand zu drücken. Mein Blick streichelt den Mahagonitisch vor dem Chefsessel, den Chefsessel selbst und die Ledercouch, auf der ich hin und wieder schlafe, wenn es in der Arbeit spät wird.
Das buntgemusterte Bild an der einzigen Wand lässt mich seltsamerweise an Stella denken. Nicht nur, weil sie es für mich ausgesucht hat. Das Bild löst das gleiche Gefühl in mir aus, wie Stellas Anblick letztens. Ich nicke und rufe mich in Gedanken selbst zur Ruhe.
Erst jetzt entdecke ich ihn: Karim Caloni, mein 10-Uhr-Termin. Ich erkenne ihn sofort. Er ist das völlige Gegenteil von Lorenzo: schlaksig, gutaussehend und im Besitz voller Haare. Reflexartig fasse ich an den glatten Kopf von Lorenzo. Dieser Junge hier könnte ein Haarmodell sein, wenn er denn wollte. Ganz sicher ist er allerdings eins: Student der Psychologie mit viel Zeit. Das war das Argument, wieso ich ihn überhaupt ausgesucht habe.
„Du hast deine Ziele für diesen Monat ...“, beginnt Jan. „Erreicht“, ergänze ich ihn in Gedanken. „Grundsätzlich ist das richtig“, denke ich, wenn auch die Sache für mich seit dem Besuch der himmlischen Heerscharen gerade ganz anders liegt. Oh nein! Ich begreife, dass dieses junge Bürschchen zu einem Problem werden wird, so wie das Plakat mit der Zielerreichungsquote im Aufenthaltsraum von Munichlive gerade zu einem Problem geworden ist.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, versuche ich mich herauszuwinden. Als Mark weiß ich genau, dass die Idee mehr als gut ist, sie ist überhaupt die einzig logische. Doch als Lorenzo Acht wird mir bewusst, dass ich hier auf kein Verständnis hoffen kann. Ich überlege einen kurzen Moment. Der Ärger über die neue Situation gehört natürlich zu mir selbst. Lorenzo wäre die Angelegenheit sicher wurscht. Wahrscheinlich würde er sich sogar freuen, einen so hübschen Kerl einarbeiten zu dürfen. Ich sehe zu Jan. Offensichtlich denkt er so etwas auch gerade.
„Du b ist der Erfolgreichste im Team, Lorenzo“, sagt er. Seine Augen fixieren mich. „Komm schon. Mark sieht es sicher genauso.“ Eine Weile lang sagt er nichts. Und dann, mit einem kleinen Lächeln auf seinen Lippen: „Du kannst ihn später fragen ...“ Er geht tatsächlich davon aus, dass ich mich einfach verspäte! „Sicher, frage ich ihn später“, denke ich und halte allerdings die Klappe. Jan ist natürlich nicht klar, dass Mark weder morgen noch nächste Woche kommen wird. Mich selbst fröstelt es für einen Augenblick.
„Was muss ich tun?“, frage ich und trete näher. Jan lächelt zufrieden und geht vor.
„Das ist Karim. Er wird Ruth vertreten, wenn sie weg ist. Und das ist Lorenzo.“ Er nickt in meine Richtung, während Ruth erleichtert aufatmet. Der Junge hingegen starrt mich an, als sei ich ein Geist, fährt sich mit der Hand durch die schwarzen, jugendlich wilden Haare und lächelt dann doch ein bisschen. Wieder fasse ich mir an den glatten Schädel und überlege. Innerhalb weniger Sekunden fällt mir ein,
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