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Amors Glücksfall (German Edition)

Amors Glücksfall (German Edition)

Titel: Amors Glücksfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Wasser
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herum, bis ich im Klinikum ankomme.
    „ Innere, sagen Sie? Zu wem wollen Sie denn genau?“
    Ich stammle etwas von Intensivstation und werde vom Pfleger am Empfang wie schon im Telefongespräch vorhin quer durch die Stationen geschickt.
    Auf meiner Odyssee durch die Gänge laufe ich beinahe an meiner Mutter vorbei, deren Gesicht zu einer Maske erstarrt ist, sodass ich sie fast nicht erkenne. Ich stoppe, mache einen Schritt auf sie zu.
    „Frau Hübner?“ , ich tue so, als sei ich mir nicht sicher, ob sie es ist. „Ich bin ein Freund von Mark“, sage ich. Sie kennt meine Freunde nicht, also muss ich mir keine Gedanken machen, dass sie mir nicht glaubt.
    „Woher wissen Sie, dass Mark hier ist?“, fragt sie kaum hörbar.
    „Er hatte meine Visitenkarte bei sich“, lüge ich. Wieder glaubt sie mir und stellt nicht eine einzige weitere Frage, obwohl das Fragen sonst ganz ihre Art ist. Der Schock scheint ihr tief in den Knochen zu sitzen.
    „Ich bin froh, dass er jetzt nicht allein ist“, flüstert sie, nachdem ich mich vorgestellt habe. „Wissen Sie, ich ...“ Die Maske auf ihrem Gesicht beginnt langsam zu bröckeln. Ich kenne meine Mutter als eine starke, unnachgiebige Frau, die mein Leben lang das Gegenteil meines nachsichtigen Vaters gewesen war. Sie jetzt so aufg elöst zu sehen, irritiert mich. „Es tut mir so leid“, schluchzt sie. „Was tut dir denn leid?“, will ich sie fragen: „Dass wir uns gestritten haben?“ Mich selbst frage ich, wann ich sie das letzte Mal weinen gesehen habe. Bei Vaters Beerdigung vielleicht? „Mark und ich, wir hatten zwar unsere Differenzen, aber ich habe doch nie aufgehört, seine Mutter zu sein. Ich liebe ihn doch.“ Unsere Differenzen? Ob sie damit ihre Weigerung meint, mir mein Erbe auszuzahlen? Jetzt weint sie richtig. Ich krame in Lorenzos Hose nach einem Taschentuch und reiche es ihr. Warum erzählt meine Mutter einem Wildfremden von ihrem Verhältnis zu mir? Ich verstehe das nicht und außerdem erkenne ich sie überhaupt nicht wieder. „Danke“, sagt sie und tupft sich die Tränen weg. „Entschuldigen Sie bitte!“ Sie versucht sich zu beruhigen. Ich nicke und begreife mit einem Mal, dass unsere Pflichtanteilauseinandersetzung in Anbetracht der Situation gerade an Bedeutung verliert. Dass ich sauer auf sie war, erscheint mir von einem Moment auf den nächsten völlig lächerlich.
    „Ihr Sohn weiß, dass es Ihnen leid tut“, sage ich und sehe in ihre geröteten Augen. „Und er versteht, dass Sie sein Elternhaus nicht verkaufen konnten“, will ich hinzufügen. Aber ich schweige lieber.
    „Woher wissen Sie das?“, gibt sie nach einer Weile zurück. Sie putzt sich ihre Nase und sieht an mir vorbei zum Fenster. Ja, woher weiß ich das nur? Es scheint, als begreift sie erst jetzt, was sie zuvor alles gesagt hat. Plötzlich ist es ihr unangenehm, dass sie vor einem Fremden die Kontrolle verloren hat. Ich sehe, wie sie um Fassung ringt, während sie das Taschentuch aufwendig in ihrer Tasche verstaut. „Kommen Sie“ , sie versucht zu lächeln. Ihre Augen sind beinahe trocken, die Stimme ganz klar. Sie geht vor, führt mich zu einer Tür mit Glaseinsatz in der Mitte. Ich stelle mich neben sie und starre hinein. Sie drückt meine Hand, so als ahnte sie, wie schwer mir der Anblick gleich fallen wird. Ich blinzle wie benommen gegen das weiße Licht an, das mir entgegenschlägt. Mein Blick rutscht auf dem Boden des Zimmers herum wie ein hilfloses, blindes Kind. Das Bett, der reglose Körper darin, das Gesicht, das ich gar nicht erkennen kann. Mein Magen zieht sich zusammen.
    „Was ist denn passiert?“, frage ich. Die Pause bis zu ihrer Antwort zieht sich endlos hin und fühlt sich gespensti sch an.
    „Alkohol am Steuer“, flüstert sie und senkt ihren Blick, so als könnte sie etwas dafür. Ich kneife die Augen zusammen. Nie im Leben! Der Magen beginnt sich wie wild zu drehen. Alkohol am Steuer? So ein Quatsch! Ich fühle Wut in mir aufsteigen, gegen die ich nichts ausrichten kann.
    „Ist jemand anders dabei zu Schaden gekommen?“, frage ich, statt abzustreiten, dass ich einen Unfall gebaut haben könnte. Nur schemenhaft nehme ich Mutters Kopfschütteln wahr. Ich bin erleichtert und trotzdem fassungslos. „Entschuldigen Sie“, flüstere ich nach einer Weile, mache ein paar Schritte zurück, drehe mich um und gehe.
    Erst in der Trambahn erinnere ich mich daran, dass mir noch immer das Geld für einen Fahrschein fehlt, dass ich jederzeit wieder kontrolliert

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