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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
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Mahlzeiten und schob ihn an die seitliche Wand meines Zimmers, etwa zwei Meter zu meiner Rechten. Dann wandte sie sich zum Gehen.
    »Das kann nicht Ihr Ernst sein«, brüllte ich. Junie antwortete nicht. Sie war bereits zur Tür hinaus verschwunden.
    Es dauerte gute fünfzehn Minuten, bis ich mich endlich damit abfand, dass es sich um keinen miesen Trick handelte und sie wirklich nicht zurückkommen würde. Junie, die Wiedererweckerin, war gegangen, und meine Schmerzmittel halfen mir dort, wo sie lagen, auf halbem Weg zur Tür, rein gar nichts.
    Verdammte Scheiße. Was soll ich jetzt tun?
    Ich starrte auf den Plastikbecher, der meine Tabletten enthielt – sicher, er befand sich nicht weit entfernt, trotzdem hätte er ebenso gut auf der anderen Seite des Planeten stehen können. Mein Blick wanderte zum Notfallknopf, der an einem langen, weißen Kabel neben meinem Bett befestigt war. Ich brauchte nur den kleinen roten Knopf zu drücken, und eine meiner üblichen Krankenschwestern würde angerannt kommen. Sie würden mir bestimmt meine Pillen geben. Aber zuerst musste ich das Ding zu fassen bekommen, und das war in meinem Zustand unmöglich. Oder doch nicht? Ich hatte das ungewisse Gefühl, dass der Versuch, meine neuen Arme zu benutzen, teuflisch schmerzen würde, aber was blieb mir schon anderes übrig? Ich musste es zumindest probieren. Oder einfach weiter stillhalten und leiden.
    Na schön, zuerst die Finger.
    Ohne besonderen Grund entschloss ich mich dazu, mit dem Zeigefinger der rechten Hand zu wackeln zu versuchen und mich dann dazu vorzuarbeiten, den gesamten Arm zu bewegen. Der Plan schien mir so gut wie jeder andere zu sein. Sofern die verrückte Junie die Wahrheit darüber gesagt hatte, dass meine Muskeln bearbeitet worden waren, während ich schlief, sollte es ein Kinderspiel werden.
    Mein Finger rührte sich; er wackelte auf Befehl, als sei er nervös. Das Problem war nur: Es handelte sich um den falschen Finger. Ich hatte den Zeigefinger gewollt, derjenige, der wackelte, war jedoch der Mittelfinger. Nicht allzu schlimm – nur einen daneben. Ich konzentrierte mich angestrengter darauf, den Zeigefinger zu bewegen. Wieder zuckte der Mittelfinger.
    Verdammt!
    Entweder versuchte ich es nicht intensiv genug, oder ich war irgendwie nicht richtig ›verkabelt‹ worden. Das erschien mir durchaus möglich. Mehr als möglich – eigentlich unvermeidlich. Bei all den Millionen Nervenverbindungen und -strängen in einem menschlichen Körper war nur zu erwarten, dass der eine odere andere Fehler passieren musste, als Dr. Marshall mich zusammennähte. Die Frage lautete eher: Wie viele Fehler waren passiert? Wie viele mangelhafte Verbindungen wies mein neues, bunt zusammengewürfeltes Nervensystem auf? Bei dem Glück, das ich in letzter Zeit hatte, wollte ich gar nicht darüber nachdenken.
    Zurück zu den Fingern.
    Diesmal versuchte ich, alle gleichzeitig zu beugen und nicht so wählerisch zu sein. Ich wollte die Hand zur Faust ballen, und ...
    He, das hat ja funktioniert!
    Ich konnte sie auch wieder öffnen. Vielleicht würde es nur eine Weile der Feinabstimmung bedürfen, um meine Fingerfertigkeit zurückzuerlangen. Ich spielte einige Minuten mit meiner neuen Hand herum und lächelte dabei glücklich wie ein Junge mit einem makabren neuen Spielzeug aus Fleisch. Es tat ein wenig weh – ich verspürte jedes Mal, wenn ich die Finger beugte, einen stechenden Schmerz in den Knöcheln –, aber es war nicht so schlimm, wie ich es mir ausgemalt hatte. In gewisser Weise fühlte es sich sogar gut an. Das mag sich vielleicht lächerlich anhören, aber es stimmte. Nach mehreren Monaten, die ich in körperlosem Zustand verbracht hatte, war es schön, wieder etwas zu fühlen – irgendetwas , sogar Schmerz.
    Bevor mir klar war, was ich tat, schob sich mein rechter Arm über das Laken, und ich griff nach dem Rufknopf. Ich brauchte mehrere Versuche, um den kleinen Kunststoffgegenstand zu fassen zu bekommen und festzuhalten, aber letztlich gelang es mir. Mein gesamter Arm kribbelte, als wäre er eingeschlafen.
    Ich spürte, wie sich ein Krampf anbahnte – die Schmerzen begannen in meinen Fingern und setzten dazu an, sich den Arm entlang auszubreiten. Ich konzentrierte mich mit aller Kraft und fühlte mich ermutigt, als mein Daumen brav gehorchte und den roten Rufknopf drückte, wie ich es gewollt hatte. Irgendwo draußen im Gang, vermutlich in der Schwesternstation, ertönte ein Summer.
    Ich ließ den linken Arm aufs Bett plumpsen

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