Amputiert
Ich weiß, das klingt nach weiterem wirren Zeug, doch so fühlte es sich für mich an – als nähmen es mir das Fleisch, die Muskeln und die Knochen, aus denen ich bestand, übel, dass ich sie benutzte. Keiner meiner zusammengeflickten Teile funktionierte so, wie er sollte. Jede Bewegung erfolgte langsamer, hinkte eine halbe Sekunde hinter dem her, wie es sein sollte, als wüsste mein neuer Körper, dass ich ein Hochstapler war, und hätte beschlossen, mich auf jede erdenkliche Weise zu bekämpfen. Es war ein unheimliches, fremdartiges Gefühl, das mir Schauder über den Rücken jagte; am liebsten hätte ich geschrien.
Aber ich brauchte unbedingt meine Medikamente, also machte ich weiter und bewegte mich eine gefühlte Ewigkeit roboterartig über den Boden, bis ich endlich – ENDLICH – neben dem Metalltablett mit meiner bunten Erlösung stand. Während mir Schweiß übers Gesicht lief und meine Hände so heftig zitterten, dass ich den Becher kaum halten konnte, schluckte ich die gesamte Ladung der Pillen trocken hinunter und ließ den Plastikbecher fallen.
Hol mich der Teufel – ich hab’s tatsächlich geschafft.
Ich lächelte und genoss den Augenblick. Dann rollten meine Augen nach oben, die Welt wurde schwarz, und ich ging hart zu Boden.
Kapitel 29
Die Reha setzte sich acht mörderische Wochen lang fort, und Junie, die sadistische, alte Physiotherapeutin, begleitete mich jeden schmerzerfüllten Schritt des Weges. Um die Wahrheit zu sagen, die alte Kuh wuchs mir tatsächlich ein wenig ans Herz. Sie war kalt und rücksichtslos, und sie beugte, dehnte, streckte und knetete mich täglich durch, bis ich kaum noch stehen konnte, aber sie war so ziemlich die geradlinigste Person, der ich in meiner gesamten Zeit in der Burg begegnet war.
Junie belog mich nie, kein einziges Mal. Sie hasste Lügen und sagte mir immer genau, was wir tun würden und wie wir es tun würden. Das gefiel mir an ihr. Nicht falsch verstehen – ich mochte nicht sie ; sie kannte keine Gnade und war vermutlich die übellaunigste alte Vettel der gesamten Medizinerschaft, aber solange ich hart arbeitete, behandelte sie mich fair. Im Gegensatz zum Rest der Trottel in der Einrichtung versuchte sie aufrichtig, mir zu helfen, den Anschein eines Lebens zurückzuerlangen, und ich wusste ihre Bemühungen zu schätzen.
In Anbetracht aller Umstände hielt mein neuer Körper erstaunlich gut zusammen. Das war etwas, das mir große Sorgen bereitete. Immer wieder plagten mich Träume über den schlimmstmöglichen Fall, nämlich dass sich meine Nähte lösten, während Junie meine Routine mit mir durchging, und dass Blut an die Wände spritzte, als ein Arm oder Bein abfiel. Dachte ich tagsüber an die Albträume, erschienen sie mir komisch, aber wenn sie mich nachts heimsuchten, jagten sie mir eine Heidenangst ein. Ich wachte dann immer schreiend und weinend auf und griff hinab, um mein Bein festzuhalten und die Blutung zu stoppen. Verrückt, klar, aber das war nichts Neues. Mein gesamtes Leben war zu einem großen, verrückten Traum verkommen.
An dem Montagmorgen, der den Beginn meiner neunten Reha-Woche kennzeichnete, betrat Juni mein Zimmer und tat etwas, das mich schockierte – etwas, wozu ich sie nicht für fähig gehalten hätte.
Sie weinte.
Nicht besonders dramatisch, nicht schluchzend wie ein Schulmädchen, aber ihr liefen Tränen über die Wangen, und ihr gerötetes Gesicht verriet mir, dass sie schon eine Weile versuchte, ihre Emotionen in den Griff zu bekommen. Vielleicht war sie doch menschlich. Zweifelhaft, aber möglich.
»Was ist denn los?«, fragte ich.
»Nichts. Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram. Und stellen Sie diesen Teller weg. Sie fressen seit Wochen wie ein Scheunendrescher. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie in null Komma nichts ein fettes Schwein. Wollen Sie das etwa?«
Sie wechselte das Thema, verbarg etwas vor mir. Zugegeben, es stimmte – ich hatte in letzter Zeit viel gegessen, und ja, ich legte Gewicht zu, war jedoch noch weit davon entfernt, fett zu werden. Außerdem hatte Junie selbst mich dazu aufgefordert, mehr zu essen, um schneller zu Kräften zu kommen. Warum also sollte sie jetzt darüber meckern? Ganz einfach – das tat sie nicht wirklich.
Mit einer beiläufigen Handbewegung wischte sie sich die Tränen ab, dann machte sie deutlich, dass das Thema damit erledigt war, und ließ eine weitere ihrer berüchtigten, militärartigen Tiraden vom Stapel.
»Los jetzt, Fox, setzen Sie Ihren faulen Arsch in
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