Amputiert
und entspannte mich. Ich hatte es tatsächlich geschafft und war unwillkürlich stolz auf mich. Ich hatte den Arm, die Hand und die Finger eines anderen Menschen benutzt, um das zu tun, was ich wollte. Es mochte nicht viel sein, doch für mich war es eine unglaubliche Leistung. Bestimmt würde bald jemand auf den Summer reagieren und kommen, um nachzusehen, was ich brauchte. Ich musste mich nur zurücklehnen und zu warten. Mein Blick verharrte auf dem Becher mit den Pillen, und die freudige Erwartung zauberte einen leichten Schweißfilm auf meine Stirn. Außerdem wurde mir der Mund wässrig. Einmal ein Junkie, immer ein Junkie.
Niemand kam.
Weder sofort noch fünf Minuten später oder überhaupt.
Der Summer tönte noch einige Minuten weiter, ehe er verstummte. Da schöpfte ich neue Hoffnung, aber es kamen keine Schuhe mit weichen Sohlen in Richtung meiner Tür. Keine hübsche oder sonstige Krankenschwester betrat lächelnd mein Zimmer, meine Tabletten in der Hand. Instinktiv wusste ich, dass ich auf mich allein gestellt war, wie Junie gesagt hatte, aber ich weigerte mich, es zu akzeptieren. Aufzustehen und durch das Zimmer zu gehen, war etwas, worüber ich nicht einmal nachdenken wollte, geschweige denn, es tun. Meinen Arm zwanzig Zentimeter über ein glattes, flaches Laken zu bewegen, hatte meine Hand verkrampfen lassen. Was würde erst mit meinen Beinen geschehen, wenn ich dumm genug wäre, zu versuchen, sie mein Gewicht über den kalten, harten Boden tragen zu lassen?
Zehn weitere Minuten verstrichen, bevor ich die Augen schloss, die Zähne zusammenbiss und mein rechtes Bein über die Bettkante schob. Es bewegte sich langsam, träge, und meinen Fuß konnte ich eigentlich überhaupt nicht spüren. Unterhalb des Knies fühlte sich alles taub an. Sobald mein Knie den Rand der Matratze hinter sich hatte, kippte mein Fuß schlaff von der Bettkante, und ein Feuerwerk von Schmerzen schoss durch mein Knie in den Oberschenkel.
»Gott verdammt !«, brüllte ich, so laut, dass man mich zweifellos im gesamten Stockwerk gehört hatte.
Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie die Krankenschwestern mit der alten Junie beisammensaßen und sich auf meine Kosten amüsierten; da gelobte ich mir, dass ich nicht noch einmal aufschreien würde. Miststücke! Ich hasste sie alle – jeden an diesem psychotischen Ort. Ich würde ihnen die Genugtuung nicht geben.
Irgendwie gelang es mir, auch mein linkes Bein vom Bett zu hieven und meinen Hintern über die Bettkante zu schieben. Sich aufzusetzen allerdings, schien aussichtslos zu sein. Völlig aussichtslos.
Trotzdem schaffte ich es.
Mein Verlangen, meine Sehnsucht, meine Gier nach den Schmerztabletten war so groß, dass ich bereit war, durch Reifen zu springen zu versuchen, wenn das notwendig gewesen wäre, um sie zu bekommen. Mein Körper brannte; jeder Muskel, jeder Knochen, jedes Gelenk schmerzte. Meine Lider flatterten, und ich stand kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, aber ich weigerte mich, das zuzulassen. Stattdessen stieß ich mich mit Armen ab, die sich wie zwanzig Kilo schwere Bleigewichte anfühlten, und stellte fest, dass ich auf den Beinen stand. Vor Schmerzen strömten mir Tränen über die Wangen, doch nun war ich in Fahrt – die Freude darüber, das verfluchte Bett verlassen zu haben, war überwältigend und jagte einen Adrenalinstoß durch meinen erschöpften Körper.
Unterhalb des rechten Knies konnte ich immer noch nichts fühlen, trotzdem unternahm ich einen kleinen, schlurfenden Schritt. Ich hatte gar keine andere Wahl – mein Körper war ins Wanken geraten, und hätte ich den Schritt nach vorn nicht gemacht, um das Gleichgewicht zu halten, wäre ich mit dem Gesicht voraus auf dem Boden gelandet. Heiß lodernde Qualen schossen erneut durch mein Knie, und ich fiel um ein Haar. Ich schwankte, biss mir auf die Innenseite der Wange und kämpfte darum, aufrecht zu bleiben. Mir war klar, sollte ich stürzen, käme ich nicht mehr auf die Beine. Die Schmerzen gingen etwas zurück, und ich setzte zu einem weiteren Schritt an.
Die physischen Schmerzen waren grausam, aber vielleicht noch schlimmer war das verwirrende Gefühl, sich in einem geliehenen Körper zu bewegen. Dies waren nicht meine Arme, nicht meine Beine, nicht meine Füße. Und die Liste ließ sich beliebig lange fortsetzen. Welchen Körperteil man auch herausgepickt hätte, die Chancen standen gut, dass er nicht mir gehörte, und ich denke, tief in meinem Innersten, auf Zellenebene, wusste ich es.
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