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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
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hielt mich in Bewegung, ließ mich die stetig anschwellenden Schmerzen in meinem Bein ertragen und die allgegenwärtigen Zweifel in meinem Verstand verdrängen. Ich manipulierte jedes Patientenzimmer, in das ich konnte. Einige waren abgeschlossen – vermutlich diejenigen, in denen sich Menschen befanden –, doch die meisten waren einfache Beute. Fünfundzwanzig Minuten später breitete sich im gesamten zweiten Stockwerk Gas aus, und mein Plan war beinah vollendet.
    Aber noch nicht ganz.
    Nein, etwas musste ich noch tun. Etwas, wovor mir graute, aber es war so wichtig, dass ich wusste, ich konnte nicht davor weglaufen. Ich hatte hier einst jemandem ein Versprechen gegeben – jemandem, der genauso sehr gelitten hatte wie ich, vielleicht noch mehr; und wenn es das Letzte wäre, was ich je tun würde, ich gelobte mir, dieses Versprechen zu erfüllen. Mit schwerem Herzen und einem Kloß der Größe eines Baseballs, der mir in den Hals zu steigen versuchte, kehrte ich zum Treppenhaus zurück. Ich musste für einige Minuten in den dritten Stock.
    Ich musste dem Bluterraum einen Besuch abstatten.

Kapitel 37
    Ich befand mich im Flur vor dem Bluterraum, und es gab kein Versteck, als eine Krankenschwester, die ich nicht kannte, mit mürrischer Miene aus dem Zimmer kam. Sie trug ein Tablett, auf dem sich Blutbeutel aus Plastik türmten, die zweifellos gerade von der Gruppe der grausam vivisezierten Männer geerntet worden waren, die drinnen an die Betten geschnallt lagen.
    »Was machen Sie denn hier oben?«, fragte die Schwester in einem Tonfall, der in mir den Wunsch weckte, sie mit bloßen Händen totzuprügeln. Für wen hielt sie sich, dass sie diese Menschen so behandelte, sie nicht nur ihrer Lebenssäfte beraubte, sondern auch ihrer Würde – verdammt, ihrer Menschlichkeit ? Aber ich blieb ruhig. Es wäre unklug gewesen, die Dinge jetzt noch zu vermasseln, wo der Erfolg zum Greifen nah zu sein schien.
    »Mr. Drake hat mir aufgetragen, einem der Kerle da drin eine Botschaft zu überbringen. Er sagte, er würde bald raufkommen, um persönlich mit ihm zu reden. Ich soll hier warten.«
    Ein lausiger Vorwand, ich weiß. Was für eine Botschaft konnte der Sicherheitschef schon an jemanden hier oben übermitteln wollen, und selbst wenn, warum sollte Drake ausgerechnet mich dafür auswählen, sie zu überbringen? Noch dazu in meiner Winterjacke und mit Stiefeln. Ich baute darauf, dass der Krankenschwester – wie immer sie heißen mochte – scheißegal war, was ich tat. Sie hatte Arbeit zu verrichten und wollte sie wahrscheinlich möglichst rasch erledigen, damit sie nach Hause gehen konnte. Zum Glück hatte ich recht.
    »Na, dann beeilen Sie sich«, sagte sie, vergaß mich bereits und entfernte sich. »Aber regen Sie die Männer nicht auf, sonst können Sie sich darauf verlassen, dass die Schuld Sie trifft, nicht mich.«
    Mit dieser recht leeren Drohung stapfte sie in den vorderen Bereich des Gebäudes davon. Ich huschte ins Bluterzimmer, bevor sie nachdenken und sich umdrehen konnte, um mich noch etwas zu fragen. Bisher hatte ich Glück gehabt – gewaltiges Glück –, aber mir war klar, dass es nicht ewig währen konnte. Und mir lief die Zeit davon.
    Nur noch eine halbe Stunde , betete ich zu den Deckenfliesen, dann sah ich mich in dem sterilen, weißen Zimmer um. Es bot einen höllischen Anblick, an den ich mich nur zu gut erinnerte.
    Mittlerweile waren es zehn – vier auf einer Seite des Raums, sechs auf der anderen. Zehn Fleischklumpen ohne Glieder, die einst anständige Männer gewesen waren, nun jedoch nur noch Blutbeutel verkörperten, die Dr. Marshall bei Bedarf jederzeit anzapfen konnte. Es war diabolisch – ein anderes Wort gab es dafür nicht –, und allein der Anblick verursachte mir Übelkeit. Ich konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, als ich feststellte, dass ich die meisten dieser Männer kannte. Sein leuchtend rotes Haar lenkte meinen Blick zunächst auf Rotbart, dann auf den alten Lucas, der im Bett neben ihm am hinteren Fenster lag. Charlie, der Verwirrte, dessen Geschrei damals dazu geführt hatte, dass ich geschnappt wurde, war auch noch hier. Er starrte stumpfsinnig an die Decke, genau wie mindestens vier weitere Männer, deren Gesichter ich erkannte, aber an deren Namen ich mich nicht erinnerte.
    Scheiße!
    Dies war weder eine Heimkehr noch ein freundschaftliches Wiedersehen, und in Wahrheit hatte ich gehofft, ich würde ein Zimmer voller Fremder betreten. Dadurch wäre es für mich einfacher

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