Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Amras

Titel: Amras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
Vom Netzwerk:
eigenen Fahrweg nach Rans … Er hat viele Freunde und ist ein geschickter Tiroler Landespolitiker … in dem Zeitraum, in welchem er sein Besitztum verdoppeln konnte, hat unser Vater alles verloren … Worüber wir nachdachten, es machte uns traurig …
    Zweimal haben wir im unteren Schuppen mit den Gartenarbeitern zu Mittag gegessen, ihnen ein ganzes Schinkenbein, zwei Flaschen Wein spendiert … Walter verlangte danach tagtäglich, daß ich ihn zum Schuppen hinunterführte, aber die Gartenarbeiter waren nur vier, fünf Tage im Garten, dann wurden sie nach Aldrans abkommandiert … Der Alte, der uns in der Frühe die Milch und das Brot vor dieTurmtür stellte, war, außer unserem Onkel, ›der einzige Mensch‹ … er war über Sechzig, sah aus wie Achtzig … Wir getrauten es uns aber unserem Onkel nicht einzugestehen, wie einsam wir beide im Turm waren, wie groß schließlich nach fünf, sechs Wochen unser Bedürfnis nach Menschen geworden war … Unser Onkel hatte uns ja verboten, den Turm zu verlassen, auch daß wir uns mit den Arbeitern unterhielten, was wir ja hinter seinem Rücken, in einer Zeit, in welcher wir sicher waren, nicht von ihm überrascht zu werden, taten … Da wurde uns auf einmal von ihm eröffnet, daß wir die Mittel, die der zu uns nach Amras herauskommende Internist beanspruchte, nicht mehr aufbringen könnten, und wir mußten zu dem Internisten in dessen Ordination in der Stadt Innsbruck … Wir lehnten den uns von unserem Onkel für die Internistenbesuche zur Verfügung gestellten Wagen ab und gingen, so qualvoll das auch für uns war, immer zu Fuß in die Stadt … kein Mensch kann sich vorstellen, was diese Internistenbesuche für uns bedeuteten …
    An Hollhof
    Geehrter Herr, drei Tage vor Walters Tod, der mir alles verfinstert hat, alles zerstört hat, machten wir unseren letzten Internistenbesuch … schon früh mit dem Anziehen fertig, waren wir, weil es vorher vier Tage ununterbrochen geregnet hatte, in unseren Stiefeln, kurz nach drei Uhr aus dem Haus gegangen, und weil wir fürchteten, an dem überhitzten, weil Markt gewesen war, übervölkerten Nachmittag von allen angestarrt zu werden, nicht sofort am Ufer der Sill auf die Straße … wir waren aus unserem Garten in den an ihn angrenzenden Garten gegangen und so, qualvoll von einem Garten zum andern, wieder und wieder durch Gärten, durch alle die uns in Wahrheit verbotenen Apfelgärten, durch die endlosen Apfelgärten Wildfremder, nicht ohne Gewaltanwendung, unter Püffen und Flüchen … direkt, ohne Umschweife dann in die Innenstadt … durch dieDreiheiligengasse, in welcher wir uns, uns immerfort Rügen und Lügen zufügend, ganze Schübe von Irritationen und Depressionen … bis zum Marktgraben durchtraktierten, bis in das Internistenhaus …
    In der Finsternis, die dort herrschte, zwischen den Wänden und auf den Treppen, Türschwellen, Sockeln, Fensterbänken, auf den Geländervorsprüngen und -verzierungen, versuchten wir uns zu beruhigen, dadurch zu kräftigen; es spielten sich aber vor allem da noch entsetzliche Szenen zwischen uns ab … es war unser fürchterlichster gemeinsamer Tag … auf der obersten Treppenstufe mußte ich mir, und zwar völlig erschöpft, Walters Speichel von meinen Kleidern abwischen, denn in der krankhaften Einstellung zu mir und gegen mich, hatte er mich angespuckt … hatte er versucht, mir einen Schlag ins Gesicht zu versetzen … auf dem Ihnen schon einmal beschriebenen Epileptikersessel im Wartezimmer des Internisten war es Walter, durch seine angegriffenen Hirnmassen, durch das schwüle Nachmittagswetter, in einem mich geradezu füsilierenden Grade unmöglich, mit der Anstrengung des Stiegensteigens fertig zu werden … Jeder unserer Internistenbesuche war mit diesem entsetzlichen Stiegensteigen verbunden … auf dem hohen, wie für ihn und seine zuletzt erschütternde Hinfälligkeit konstruierten Epileptikersessel mit den vielen Gurten und Ketten, auf dem auch an den Fußboden angeschraubten, für alle Innsbrucker Epileptischen unter Anweisung des Internisten, wie ich weiß, von einem Höttinger Schlosser zusammengeschweißten Sessel sitzend, an welchem, vornehmlich an den Seiten, die Spuren vieler Verzweifelter deutlich erkennbar waren, erschreckte es ihn, wenn ganz plötzlich die Ordinationstür von innen geöffnet wurde und einem auf den Sesseln Wartenden, nicht immer dem am allerlängsten Wartenden, der Befehl zum Betreten der Ordination erteilt wurde … Walter wartete immer

Weitere Kostenlose Bücher