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Amsterdam

Amsterdam

Titel: Amsterdam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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als prüfe er den Artikel –, »…in der indirekten Rede [46]  verwenden wir den Konjunktiv I . Sind diese beiden Regeln allen klar?«
    Vernon bemerkte die Zustimmung in der Tischrunde. Das entsprach genau dem, was die Grammatiker gern hörten. Mit ihrer makellosen Syntax würden sie die Zeitung noch unter die Erde bringen.
    Nachdem er sich so ihr Wohlwollen gesichert hatte, fuhr er im Eiltempo fort. Eine seiner wenigen erfolgreichen Neuerungen, vielleicht seine einzige bis dato, bestand darin, die tägliche Redaktionskonferenz mit Hilfe einiger weniger maßvoll durchgesetzter Regeln von vierzig auf fünfzehn Minuten verkürzt zu haben: nicht mehr als fünf Minuten für die Blattkritik – was geschehen ist, ist geschehen; keine Witze und vor allem keine Anekdoten; er selbst erzählte keine, also war es auch allen anderen verwehrt. Er wandte sich den Auslandsseiten zu und runzelte die Stirn. »Eine Ausstellung mit Tonscherben in Ankara? Das soll eine Nachricht sein? Achthundert Wörter? Ich begreif’s einfach nicht, Frank.«
    Frank Dibben, der stellvertretende Leiter der Auslandsredaktion, erklärte mit einem Anflug von Spott: »Ach, versteh doch, Vernon, das spiegelt einen grundlegenden Paradigmenwechsel in unserer Auffassung vom Einfluß des frühen Perserreichs auf den…«
    »Ein Paradigmenwechsel bei zerbrochenen Krügen ist keine Nachricht, Frank.«
    Grant McDonald, der stellvertretende Chefredakteur, der unmittelbar neben Vernon saß, schaltete sich besänftigend ein. »Die Sache ist die, Julie hat versäumt, ihren Bericht aus Rom zu übermitteln. Die Lücke mußte…«
    [47]  »Nicht schon wieder. Was ist es denn diesmal?«
    »Hepatitis C.«
    »Was war mit der Meldung der Associated Press ?«
    Dibben meldete sich zu Wort. »Das hier war interessanter.«
    »Du irrst dich. Da verliert man ja völlig die Lust. Selbst das Times Literary Supplement würde so etwas nicht bringen.«
    Sie gingen zum Tagesplan über. Nacheinander resümierten die Ressortleiter die Artikel auf ihrer Liste. Als Frank an die Reihe kam, pochte er darauf, daß seine Story über Garmony als Aufmacher verwendet werde.
    Vernon hörte ihn an, dann sagte er: »Er ist in Washington, dabei sollte er in Brüssel sein. Er schließt einen Pakt mit den Amerikanern hinter dem Rücken der Deutschen. Auf kurze Sicht ein Gewinn, auf lange Sicht eine Katastrophe. Er war ein entsetzlicher Innenminister, im Außenministerium ist er noch schlimmer, und sollte er je Premierminister werden – was mit jedem Tag wahrscheinlicher aussieht –, wird er uns ruinieren.«
    »Ja, schon«, stimmte Frank ihm zu. Hinter einem verhaltenen Tonfall verbarg er seine Wut über die Abfuhr in Sachen Ankara. »Das hast du alles schon in deinem Leitartikel geschrieben, Vernon. Aber entscheidend ist doch nicht, ob wir mit dem Pakt einverstanden sind, sondern ob er bedeutungsvoll ist.«
    Vernon überlegte, ob er sich nicht vielleicht doch dazu durchringen sollte, Frank zu entlassen. Was bildete der sich eigentlich ein, einen Ohrring zu tragen?
    »Ganz recht, Frank«, sagte Vernon herzlich. »Wir [48]  gehören zu Europa. Die Amerikaner wollen, daß wir zu Europa gehören. Die besondere Beziehung zwischen Großbritannien und den USA gehört der Geschichte an. Der Vereinbarung kommt keinerlei Bedeutung zu. Der Artikel bleibt auf den Innenseiten. Gleichzeitig fahren wir damit fort, Garmony das Leben schwerzumachen.«
    Sie hörten dem Sportredakteur zu, dessen Seiten Vernon auf Kosten des Feuilletons kürzlich verdoppelt hatte. Dann war Lettice O’Hara, die Leiterin der Feature-Redaktion, an der Reihe.
    »Ich muß wissen, ob wir mit dem walisischen Kinderheim fortfahren können.«
    Vernon sagte: »Ich habe die Gästeliste gesehen. Jede Menge hohe Tiere. Die Gerichtskosten können wir nicht aufbringen, falls etwas schiefgeht.«
    Lettice sah erleichtert aus und begann einen enthüllenden Artikel über einen Ärzteskandal in Holland zu schildern, den sie in Auftrag gegeben hatte.
    »Anscheinend gibt es dort Ärzte, die die Euthanasiegesetze dazu ausnutzen, um…«
    Vernon unterbrach sie. »In der Freitagsausgabe möchte ich die Story über die siamesischen Zwillinge bringen.«
    Ein Stöhnen machte sich breit. Aber wer würde als erster Einspruch erheben?
    Lettice. »Wir haben nicht einmal ein Foto.«
    »Dann schickt heute nachmittag jemanden nach Middlesbrough.« Es herrschte mißmutiges Schweigen, so daß Vernon fortfuhr: »Hört mal, die beiden arbeiten in einer Abteilung des

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