Amsterdam
Chefredakteurs zu erkennen zu geben. Er entschuldigte sich und ging an die Imbißtheke, um Kartoffelbrei mit Würstchen zu bestellen. Vernon sah ein möbliertes Zimmer oder eine Atelierwohnung vor sich, in denen sonst niemand wohnte. Keine Frau wartete darauf, daß der stellvertretende Ressortleiter Ausland nach Hause käme.
Als Frank sich wieder setzte, sagte er unvermittelt: »Ich könnte dich auf dem laufenden halten. Ich könnte dir Bescheid geben, was sie so reden. Ich könnte herausbekommen, wo du wirklich Unterstützung findest. Aber ich müßte mir den Anschein geben, als wäre ich unbeteiligt, neutral. Hättest du etwas dagegen?«
Vernon wollte sich nicht festlegen. Er war zu lange im Geschäft, um einen Bürospion anzuheuern, ohne vorher mehr zu wissen. Er kam auf Garmonys Politik zu sprechen, und die beiden verbrachten eine angenehme halbe Stunde damit, sich gegenseitig in ihrer Verachtung dafür zu bestätigen. Drei Tage später dann, als Vernon, aufgeschreckt von der heftigen Opposition, die Korridore entlanghastete und – wenn auch nur vorübergehend – wankelmütig zu [130] werden begann, kehrte er mit Dibben in dasselbe Pub, in dieselbe Nische zurück und zeigte ihm die Fotos. Die Wirkung war herzerquickend. Frank betrachtete jedes Foto ausführlich, ohne einen Kommentar abzugeben, und schüttelte nur den Kopf. Dann steckte er sie wieder in den Umschlag und sagte ruhig: »Unglaublich. Die Scheinheiligkeit dieses Mannes.«
Einen Augenblick saßen sie gedankenverloren da, dann fügte er hinzu: »Du mußt sie bringen. Laß dich nicht daran hindern. Das wird seine Chancen als Premierminister ruinieren. Danach ist er völlig erledigt. Vernon, ich bin wirklich auf deiner Seite.«
Die Unterstützung der jüngeren Angestellten ließ sich nicht ganz so leicht feststellen, wie Frank behauptet hatte, doch während der Tage, die es dauerte, bis Vernon den Judge als Ganzes auf seiner Seite hatte, war es von unschätzbarem Wert, zu wissen, welche Argumente bei wem verfingen. Bei seinem Rendezvous hinter der Jukebox lernte er, wann und weswegen die Opposition sich zu spalten begann und wann er seine Argumente anbringen mußte. Während der Planung und Ausführung der Vorankündigungskampagne wußte Vernon genau, wen unter den Grammatikern er isolieren und bearbeiten mußte. Er konnte die Ideen für seinen Feldzug an Frank erproben, der seinerseits einige gute Vorschläge unterbreitete. Vor allem aber hatte Vernon jemanden, mit dem er sich besprechen konnte, jemanden, der sein Gefühl, eine geschichtliche Mission zu erfüllen, und seine Erregung teilte, der die große Bedeutung der Angelegenheit instinktiv erfaßte und ihn ermutigte, wenn alle anderen etwas daran auszusetzen hatten.
[131] Als er den Geschäftsführer auf seiner Seite wußte und die Vorankündigungen und Nachträge geschrieben waren, als die Auflage stieg und sich in der Belegschaft eine gedämpfte, aber hartnäckige Erregung breitmachte, waren die Treffen mit Frank überflüssig geworden. Doch Vernon lag daran, ihm seine Loyalität zu lohnen, und er überlegte, ob er ihn für den Posten von Lettice, als Leiter der Feature-Redaktion, vorschlagen solle. Seit Lettice die Sache mit den siamesischen Zwillingen hatte schleifen lassen, arbeitete sie auf Bewährung. Mit der Schachbeilage hatte sie ihr eigenes Todesurteil unterschrieben.
Jetzt, am Donnerstag abend, dem letzten Tag vor der Veröffentlichung, fuhren Vernon und sein getreuer Adjutant in einem uralten Aufzug, der schon tatterig wirkte, gemeinsam in den vierten Stock hinauf. Vernon fühlte sich in seine Studentenzeit zurückversetzt, als er geschauspielert hatte – die Generalprobe, die schweißigen Hände, das flaue Gefühl in der Magengrube und der Durchfall. Wenn die Vormittagskonferenz zu Ende wäre, hätten sämtliche leitenden Redakteure, sämtliche altgedienten Reporter und eine ganze Reihe anderer die Fotos zu Gesicht bekommen. Die Frühausgabe ging um 5 Uhr 15 in Druck, doch erst um 9 Uhr 30, wenn die Spätausgabe gedruckt wurde, wäre Garmonys Bildnis, sein Kleid und sein seelenvoller Blick ein skandalöser Fleck auf den Walzen der neuen Druckerei in Croydon. Der Hintergedanke dabei war, die Konkurrenz jeder Chance zu berauben, ihnen mit eigenen Spätausgaben das Geschäft zu verderben. Die Lieferwagen wären um 11 Uhr auf den Straßen. Dann wäre es zu spät, um die Tat ungeschehen zu machen.
[132] »Hast du die Presse gesehen?« fragte Vernon.
»Eine
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