Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amsterdam

Amsterdam

Titel: Amsterdam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
Vom Netzwerk:
Regierungspartei berichtet werden, die für den Nachmittag einberufen worden sei; durch das Fenster von Garmonys Wahlkreisbüro in Wiltshire sei ein Ziegelstein geschleudert worden. Auf diese Nachricht folgte abgehackter Beifall, danach, als wie immer Vernons Stellvertreter Grant McDonald sein Scherflein beitrug, herrschte wieder Schweigen.
    Er war ein alter Hase, ein hochgewachsener Mann, dessen Gesicht fast zur Gänze hinter einem lächerlichen roten Bart verschwand, den er niemals stutzte. Er brüstete sich gern damit, Schotte zu sein; an Burns’ Night, die er für die Zeitung organisierte, trug er einen Schottenrock, und bei der Neujahrsparty des Blatts blies er Dudelsack. Vernon vermutete, daß McDonald nie über Muswell Hill hinausgekommen war. In der Öffentlichkeit hatte er seinem Chefredakteur die notwendige Rückendeckung gegeben, doch [138]  Vernon gegenüber, unter vier Augen, hatte er sich skeptisch über die ganze Angelegenheit geäußert. Irgendwie schien die gesamte Redaktion über seine Skepsis Bescheid zu wissen, weswegen ihm jetzt alle so aufmerksam lauschten. Er begann mit einem leisen Knurren, welches das Schweigen um ihn her noch zu verstärken schien.
    »Jetzt kann ich’s ja sagen, vielleicht überrascht es euch, aber ich hatte von Anfang an meine gelinden Zweifel…«
    Diese arglistige Eröffnung trug ihm eine Runde mannhaften Gelächters ein. Vernon war wie elektrisiert von seiner Unaufrichtigkeit; die Angelegenheit war köstlich, vielschichtig, des byzantinischen Hofes würdig. Ihm kam das Bild eines polierten Tellers aus getriebenem Gold in den Sinn, in den verblaßte Hieroglyphen eingraviert waren.
    McDonald fuhr fort, seine Zweifel zu schildern – Persönlichkeitsrecht, Bildzeitungsmethoden, unausgesprochene politische Absichten und so weiter. Dann kam er zum Knackpunkt seiner Rede und erhob die Stimme. Franks Informationen trafen haargenau zu.
    »Aber im Lauf der Jahre habe ich gelernt, daß es in unserem Gewerbe Zeiten gibt – wenn auch nicht viele –, wo wir uns mit unseren eigenen Meinungen zurückhalten müssen. Vernon hat seinen Fall mit Leidenschaft und todsicherem journalistischem Instinkt vorgetragen, und es herrscht in diesem Pressehaus, in dieser Zeitung eine hektische Atmosphäre, die mich an die gute alte Zeit der Dreitagewoche erinnert, als wir noch wußten, wie man eine Story schreibt. Die Auflagenziffern heute sprechen für sich – wir haben die Stimmung in der Öffentlichkeit genau erfaßt. Also…« Strahlend wandte Grant sich zum Chefredakteur. »Wir [139]  schwimmen ganz oben, und das alles ist dir zu verdanken, Vernon, tausend Dank.«
    Nach dem lauten Applaus schlossen sich andere mit kurzen Glückwunschbotschaften an. Vernon saß mit verschränkten Armen und feierlichem Gesichtsausdruck da, den Blick auf die Maserung des Tischfurniers geheftet. Er wollte lächeln, aber das schien unangebracht. Mit Genugtuung vermerkte er, daß Tony Montano, der Geschäftsführer, diskret mitschrieb, wer was sagte. Wer auf seiner Seite stand. Er mußte ihn beiseite nehmen und wegen Dibben beruhigen, der, die Hände tief in die Taschen vergraben, auf seinem Stuhl zusammengesunken war, die Stirn runzelte und den Kopf schüttelte.
    Den weiter hinten Stehenden zuliebe erhob sich Vernon, um die Danksagungen zu erwidern. Er wisse, sagte er, daß die meisten Leute im Raum zu diesem oder jenem Zeitpunkt gegen die Veröffentlichung gewesen seien. Aber er sei ihnen dankbar, denn in gewisser Hinsicht ähnele der Journalismus den Naturwissenschaften: Die besten Ideen seien diejenigen, die überdauerten, durch intelligente Opposition gewönnen sie an Durchsetzungskraft. Diese durchsichtige Selbstgefälligkeit löste eine Runde lebhaften Beifalls aus; demnach bestand kein Grund, beschämt zu sein oder Rachsucht von oben befürchten zu müssen. Noch ehe der Beifall verklungen war, hatte sich Vernon durch die Menge geschoben, zu einer weißen Tafel, die an der Wand angebracht war. Er entfernte den Klebstreifen, mit dem ein großer Bogen unbeschriebenen Papiers befestigt war, und enthüllte die auf das zweifache Format vergrößerte Titelseite der morgigen Ausgabe.
    [140]  Das Foto ging über volle acht Spalten und füllte, angefangen vom Kopf der Zeitung, drei Viertel der Seite aus. Die andächtige Versammlung ließ das schlicht geschnittene Kleid auf sich wirken, die Laufstegphantasie, die forsche Pose, die spielerisch, verlockend den Blick der Kamera abzuweisen vorgab, die winzigen

Weitere Kostenlose Bücher