An den Springquellen
Er griff in seinen Gürtel und holte den Spiegel hervor. Sein Fuß schob einige dürre Äste ins Feuer. Als Arruf merkte, daß wieder sein Gegner durch seine Augen blickte, hob er die polierte Metallscheibe. Die Flammen loderten hell auf. Der andere Mann sah: Arruf mit schwarzem Haar, schwarzem Bart und dunkler Gesichtsfarbe. Falls er jemals sein, Luxons, wirkliches Gesicht gesehen haben sollte, wo würde er ihn jetzt nicht erkennen. Schnell schrieb er vor seine Füße:
Zeige – du – dich – auch.
Die Verbindung riß ab. Der andere hatte mit ihm gespielt. Das Spiel schien allerdings nicht erfolgreich gewesen zu sein. Mit einem Fußtritt verwischte Arruf die Schrift und wandte sich an Uinaho.
»Du hast es gemerkt, Uinaho?«
Der Ay nickte schweigend. Er vergewisserte sich zuerst, daß sie keine Zuhörer hatten, dann meinte er voller Verständnis:
»Deine Augen. Einmal siehst du durch die anderen, dann schreibst du etwas, und der andere sieht es. Ist es so?«
»So ist es!« bestätigte Arruf. »Das geht schon ein dutzendmal hin und her. Mein Gegner und ich können den Blick des anderen beeinflussen.«
»Wozu soll das gut sein?«
»Nur zu einem«, sagte Arruf und entsann sich des verdammenswerten Dreigespanns vom Hungerturm, »dazu, daß ich bald wieder allein über meine Augen verfügen kann. Ich habe das Gefühl, der andere kommt näher.«
Und dann erzählte er flüsternd seinem Freund, was er inzwischen über den Pfänder erfahren hatte. Als er den Zwischenfall mit dem Spiegel berichtete, brach Uinaho in schallendes Gelächter aus. Das Lachen schien den Stammesführer zu ärgern, denn er rief zu ihnen herüber:
»Du schuldest uns noch ein paar Geschichten, Arruf!«
»Ich brauche einen Schluck Wein, oder mehrere, sonst komme ich nicht in Stimmung«, antwortete Arruf schlagfertig. Wenn Hrobon zusammen mit dem Unbekannten auf dem Yarl war, so bedeutete es einen Vorteil für Arruf. Wer war der Pfänder? Der Vorteil war so groß wie der offensichtliche Nachteil. Arruf und sein Gegner konnten weder etwas hören noch Gedanken lesen.
»Wein für unsere Gäste!« dröhnte Elejids Stimme sarkastisch auf. Ein paar verschreckte Frauen gehorchten schnell und schweigend. In dieser Nacht waren nur wenige Zelte aufgeschlagen worden. Die Nomaden schliefen auf Decken und Felsen in flachen Gruben im Sand. Tagsüber war sehr viel trockenes Holz gesammelt worden. Die Feuer schmolzen zu riesigen roten Gluthaufen zusammen. Nach einigen Schlucken des überraschend guten und starken Weines fing Arruf zu erzählen an, und wieder gelang es ihm nach kurzer Zeit mühelos, sämtliche Zuhörer in seinen Bann zu schlagen. Sie lachten, wenn er wollte, daß sie lachten, und sie wurden immer dann nachdenklich, wenn er ernsthafte Gefahren schilderte.
Am nächsten Morgen, als sie neben dem schwerbeladenen Wagen dahinstapften, klammerte sich Arruf plötzlich an Uinahos Schulter. Plötzliche Blindheit griff nach ihm.
Der Pfänder sah die Umgebung, durch die sich die Nomadenkarawane dahinschlich. Einige Katarakte, die sich rauschend und schäumend über die Klippen stürzten, einen Uferstreifen voller saftiggrüner Feuchtpflanzen, und auch die Zeichen der Düsterzone waren links im Bild zu sehen, eine Art Mauer, die sich düster, schattenerfüllt und drohend erhob und das Licht der Sonne schluckte.
Arruf zwang den Pfänder, die Kontrolle abzugeben.
Jetzt sah er das Bild, das der Fremde vom trabenden Yarl aus vor sich hatte. Der Zug der Tiere bewegte sich genau in der Zone zwischen der düsteren Umgebung und der Helligkeit des Niemandslandes. Links ragte undeutlich eine dunkle Mauer auf. Sie mochte ebenso aus Quadern und deren Resten bestehen wie auch aus gewachsenem Fels.
Konnte dies die Mauer der Alten Welt sein? fragte sich Arruf.
Die Mauer war sein Ziel.
Auch das Ziel von Prinz Odam und dessen Yarls?
Ein anderes Bild. Der Fremde ritzte wieder eine Frage in die Schlackenwand.
Haben – wir – dasselbe – Ziel?
Arruf blieb stehen, kauerte sich nieder und antwortete:
Möglich – kennst – du – die Landschaft hier?
Necron antwortete nicht.
Er begriff, daß sein Gegner zu Fuß ging und stets dann, wenn er die Kontrolle übernahm sozusagen blind war und zu stolpern oder zu stürzen drohte. Er übernahm die Augen des Feindes immer nur einige Herzschläge lang.
Das Bild setzte sich aus vielen aufeinanderfolgenden Mosaiksteinchen zusammen. Arruf wehrte sich nicht, denn er hoffte, bald mit seinem Pfänder zusammenzutreffen. Also
Weitere Kostenlose Bücher